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Kulturbanausen oder Realisten

Kulturbanausen oder Realisten © Gasteig München GmbH/Johannes Seyerlein

Neuer Konzertsaal in München?

In München streiten sie einmal wieder um eine „weltbewegende“ Sache. Es geht um die Frage, ob die Stadt einen neuen Konzertsaal braucht oder ob man das beeindruckende Kulturzentrum Gasteig „entkernen“ soll, um anschließend einen neuen Konzertsaal einzubauen. Zunächst muss man wissen, dass im erst 1985 eröffneten „Gasteig“ u.a. ein riesiger Philharmoniesaal mit fast 2.400 Plätzen, einschließlich einer großen Konzertorgel, vorhanden ist. Ebenfalls im Gasteig befindet sich der Carl-Orff-Saal etwa für Kammerkonzerte (immerhin auch 600 Plätze) sowie ein kleiner Konzertsaal mit 200 Plätzen. Bis zur Eröffnung des Gasteigs fanden die großen Konzerte im Herkulessaal der Münchener Residenz statt. Der Herkulessaal mit immerhin 1.270 Plätzen wird heute auch ebenfalls für Konzerte genutzt. Auch im Herkulessaal ist eine Orgel eingebaut.

In den Streit, wirkungsvoll über die Medien ausgetragen, haben sich auch „Berufslobbyisten“ eingemischt: Dirigenten und der Bayerische Rundfunk als Träger des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, das nach einem Ranking der britischen und weltweit anerkannten Fachinstitution „Gramophone“ an sechster Stelle der zwanzig besten Orchester steht. Nur nebenbei: die Berliner Philharmoniker befinden sich im erwähnten Ranking der Fachleute auf dem zweiten Rang. Nicht zuletzt der Intendant des BR, Ulrich Wilhelm, befürwortet mit Verve einen neuen Saal – ansonsten könne man München als ein führendes Musikzentrum vergessen! Dass München auch künftig ein weltweit führender Musikstandort der klassischen Musik bleiben soll, sieht natürlich die Bayerische Staatsregierung und Ministerpräsident Seehofer unisono ebenfalls. Ob dafür jetzt ein weiterer neuer Saal notwendig ist – darüber gehen die Meinungen auseinander.

Der Streit wurde zum Politikum, nachdem sich die Bayerische Staatsregierung eingeschaltet hat. Es gibt inzwischen eine „große Koalition“ zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und Münchens OB Dieter Reiter (SPD). Die beiden Politiker einigten sich auf das Entkernungsmodell im Gasteig. Das riesige Kulturzentrum würde dann mindestens zwei bis drei Jahre insbesondere als Philharmonie ausfallen. Solange das jetzt gefundene Entkernungsmodell keine Option gewesen ist, wurde interessanterweise das Gasteig von den Befürwortern eines neuen Saales heruntergemacht. Die Akustik tauge nichts und überhaupt könne das Gasteig mit modernen Konzerteinrichtungen selbst drittklassiger Städte nicht mehr mithalten. Jetzt, nachdem die „Gefahr“ droht, dass das Gasteig bei einer Entkernung für einige Jahre geschlossen wäre, ist Münchens großes Kulturzentrum oberhalb des Deutschen Museums plötzlich bei Fachleuten doch nicht so schlecht. An der Akustik könne man mit geringen Mitteln was machen. Und überhaupt – so der Musikmanager Karsten Witt – habe er oft neidisch auf die Philharmonie im Gasteig geschaut. Man brauche, so Witt, das Gasteig und einen neuen Saal!

Aber bereits in den letzten Jahren wurde lebhaft darüber gestritten, wo dieser in München gebaut werden soll. Genannt wurden schon der Marstall hinter der Bayerischen Staatsoper. Es wurde aktuell der Finanzgarten, eine wunderschöne Grünanlage unweit des Odeonsplatzes, ins Spiel gebracht. Im Gegensatz zur prächtigen Barockanlage Hofgarten, in dem man im Hochsommer der prallen Sonne ausgeliefert wird, ist der benachbarte Finanzgarten eine mehr ungekünstelte, aber wunderschöne schattenspendende Oase der Ruhe inmitten der Großstadt. Wer auch immer auf die Idee Finanzgarten als Standort eines neuen Saales kam – es ist eine Schnapsidee!

Braucht München einen neuen Saal?

Braucht München tatsächlich einen neuen Saal oder geht es nur um das Prestige, etwa weil Hamburg als ewiger Lieblingskonkurrent um das Prädikat der attraktivsten deutschen Städte eine sündhaft teure Elbphilharmonie erhält? Natürlich sticht die Elbphilharmonie viele Konzerthallen aus. Sie befindet sich jetzt in der Endphase der Realisierung und soll nach einer schier unendlichen Story endlich im nächsten Jahr fertig sein. Dann hat das Projekt sage und schreibe gut 800 Millionen Euro gekostet. Ursprünglich war einmal von 80 Millionen Euro die Rede. So viel nur zu den angeblich geringen Kosten, die ein neues zusätzliches Konzertzentrum in München kosten würde. In der Vorphase eines Projektes werden immer kleine Zahlen genannt, damit es Akzeptanz erhält. Man muss kein Kulturbanause sein, wenn man einen weiteren Konzertsaal schon aus Kostengründen ablehnt. Wir haben derzeit angesichts vieler maroder Brücken und Straßen bestimmt andere Sorgen – auch im sozialen Bereich.

Der Bayerische Rundfunk und sein Intendant – auch die Befürworter aus der Konzertwelt – argumentieren, dass es aus Kapazitätsgründen der zwei Münchener Weltklasseorchester (neben dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks die Münchner Philharmoniker) ohne einen zusätzlichen Neubau eines Konzertsaals nicht mehr ginge! Und natürlich, wie könnte es auch anders sein, untermauern sie diese These mit Gutachten. Diese fallen aber oft so aus, wie man es sich gerade wünscht. Die These von der Notwendigkeit eines weiteren Konzertsaales ist jedenfalls in der Praxis leicht zu widerlegen, wie die Beispiele großer Weltmetropolen zeigen.

So gibt es im wesentlich größeren Berlin bei vier Spitzenorchestern (Berliner Philharmoniker, Staatskapelle Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin und Konzerthaus Orchester) zwei renommierte Konzertsäle, die 1960 bis 1963 gebaute Berliner Philharmonie des Architekten Hans Scharaun sowie das bereits zu DDR-Zeiten prächtig wiederaufgebaute Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Im Gegensatz zu München, wurde leider und unsinnig sehr lebhaft in der Berliner Politik darüber diskutiert, ob die Nutzung des wunderschönen Konzerthauses angesichts des Vorhandenseins der Scharaun-Philharmonie noch notwendig sei. Die Berliner Philharmonie würde doch genügen! Erst auf Druck durch die Öffentlichkeit wurde erfreulicherweise am Konzerthaus festgehalten.

Auch in der Musik- und Konzertmetropole Wien gibt es lediglich zwei zwar sehr gute, aber betagte klassische Konzertsäle, das Wiener Konzerthaus und das berühmte Konzertgebäude des Wiener Musikvereins, in dem die weltweit bekannten Neujahrs-Konzerte stattfinden. Auch in Wien gibt es drei renommierte Orchester. Neben den Wiener Philharmonikern – im Ranking „Gramophone“ weltweit an dritter Stelle – die renommierten Klangkörper Wiener Symphoniker und Radio-Symphonie-Orchester Wien.

Extrem ist die Situation in London. Sechs weltweit führende und berühmte Orchester – London Symphony Orchestra (mit Platz vier des „Gramophone“-Ranking deutlich vor dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks), London Philharmonic Orchestra, Royal Philharmonic Orchestra, Philharmonia Orchestra, BBC Symphony Orchestra sowie das großartige Orchester des Royal Opera House London – musizieren in der Royal Festival Hall des Southbank Centre, in der Barbican-Hall und in der monumentalen Royal Albert Hall (Last Night of the Proms des BBC Symphony Orchestras), die aber mit 9.500 Plätzen für Symphoniekonzerte nur bedingt geeignet ist, obwohl inzwischen die Akustik enorm verbessert wurde. Aber auch in einer Weltstadt wie London wollen bei einem Symphoniekonzert erst mal über 9.000 Plätze – von der Last Night abgesehen – besetzt werden. Das Beispiel London zeigt aber, dass sechs Spitzenorchester mit dem Konzertsaalangebot – sieht man vom Sonderfall der riesigen Royal Albert Hall ab, sind es „nur“ die Royal Festival Hall und das Barbican – in der britischen Hauptstadt durchaus gut zurechtkommen.

Aus all den genannten Gründen ist in München, wo die Dinge im Gegensatz zu Berlin, Wien und London überschaubar sind, ein weiteres drittes Konzertzentrum keineswegs erforderlich. Es ist aber auch ein Umbau des Gasteig unsinnig. München braucht – vor allem bei einer allerdings notwendigen Renovierung des Herkulessaales – realistisch betrachtet keinen weiteren Konzertsaal, der vor allem vom Budget her in erster Linie zu Lasten des Steuerzahlers ginge.

Letzte Änderung am Dienstag, 25 April 2017 17:11
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag