Schon die Dachzeile in der Pressemitteilung der EU-Kommission (Deutschland) stellt eine nichtssagende Verbeugung vor der Mehrheit dar: Eine europäische Energieunion für sichere, nachhaltige und bezahlbare Energie propagiert die EU. Dies ist ja wohl selbstverständlich – wer will keine sichere und preiswerte Energie? Aber wenn es konkret – sprich heiß – wird (etwa zum Stellenwert der Kernenergie) weicht die EU aus. Auch eine Energieunion beispielsweise im Bereich der Gasbeschaffung kann übrigens auch strukturell nicht funktionieren, weil die Ausgangspositionen der unterschiedlichen Mitgliedsländer völlig konträr sind. Auch auf längere Zeit sind beispielsweise einige osteuropäische (konkret Bulgarien) und baltische Staaten zu über 90 Prozent vom russischen Gas abhängig.
Verflüssigtes Gas soll im Rahmen der Energieunion mehr Zugang in die Märkte erhalten. Dabei erwähnt das Papier nicht, dass derzeit noch nicht einmal eine Infrastruktur für LNG (das ist Flüssiggas, das per Spezialtanker über die Meere transportiert wird) im notwendigen Ausmaß in der EU zur Verfügung steht. Dazu sind große Hubs notwendig. Lediglich westlich von Rotterdam gibt es ein LNG-Terminal. In Deutschland wurden entsprechende und bereits vorhandene Planungen energiepolitisch vernachlässigt. Doch dies ist alles nicht der eigentliche Knackpunkt.
Energiepolitische Makulatur
Alle noch so schönen Überlegungen sind Makulatur, solange im Energiebereich Überlegungen, wie die einer Energieunion, durch Brüssel nicht geändert werden können. Die Energiepolitik und deren Ausgestaltung, einschließlich der Erzeugungstechnologien, liegt gemäß dem EU-Vertrag in der Zuständigkeit jedes EU-Mitgliedes. Daran wird auch künftig nicht zu rütteln sein. Auch Deutschland selbst wird übrigens an der eigenen Energiezuständigkeit festhalten, weil unser Land die Rolle in der Deutungshoheit für die richtige Energie beansprucht und andere EU-Länder keineswegs in „unserer“ Energiepolitik das Non plus Ultra sehen. Genau dies führte und führt ja zur grotesken Situation, dass die deutsche Energiewende mit dem Austritt aus der Kernenergie – entstanden aus einer Angsthysterie nach Fukushima – auch nicht ansatzweise mehr Sicherheit für Deutschland bringt. Die Sicherheit oder die Angst war neben der Klimaproblematik das zentrale Anliegen der deutschen Energiewende. Aber wenn wenige Kilometer hinter den deutschen Grenzen Kernkraftwerke auch langfristig betrieben werden, darf man schon fragen, was in puncto Sicherheit die Energiewende bringt. Frankreich wird noch sehr lange an der Kernenergie festhalten, eine geplante Energieunion hin oder her. Die Anlagen in Fessenheim und Cattenom sind geographische „Nachbarn“; Belgien wird die Anlagen Tihange ebenfalls ausbauen. Das Land setzt auch nach jüngsten Äußerungen weiter auf die Kernenergie.
Vor allem das Vereinigte Königreich geht seine eigenen Wege und forciert sogar ganz enorm die Kernenergie. Die EU hat im Herbst 2014 Subventionen der britischen Regierung für den Ausbau von Hinkley Point mit zwei weiteren Reaktorblöcken in Milliardenhöhe genehmigt und somit eine Energieunion analog der Währungsunion ins Absurdum geführt. Die Briten nannten eine Bausumme von 19 Milliarden Euro. Man stelle sich einmal vor, man wollte den Briten die Erzeugungstechnologie aus Brüssel vorschreiben. Der Austritt des Landes – so er nicht ohnehin kommt – wäre Programm. Auch das EU-Mitgliedsland Ungarn hat soeben einen Vertrag mit Russland für zwei weitere Reaktoren in Paks abgeschlossen. Weil die EU weiß, dass sich in Fragen der Erzeugung die Mitgliedsländer nichts vorschreiben lassen, gibt sich die Kommission bei der Kernenergie meinungsneutral.
Dies gilt übrigens auch für das in Deutschland so umstrittene Fracking, dem die EU aus Gründen der Reduzierung der Abhängigkeit von Russland durchaus auch in Europa die Berechtigung einräumt. Sie sei – so das EU-Papier – „eine Option“, sofern die öffentliche Akzeptanz angemessen berücksichtigt würde. Also graue Theorie, denn die Akzeptanz für Fracking wird etwa im Lande der richtigen Deutungshoheit (Deutschland) nicht zu erreichen sein. Ein Widerspruch zur Option Fracking ist das EU-Papier auch deshalb, weil andererseits die EU in ihrem Strategiepapier zur Energieunion fordert, sich von einer auf „fossilen Brennstoffen beruhenden Wirtschaft abzuwenden“.
Ohne jetzt die einzelnen Prämissen der Brüsseler Gedankenspiele konkret zu kommentieren, lässt sich zusammengefasst das Papier wie folgt bewerten: Widersprüche und keine klare Strategie. Reizthemen wurden ausgeklammert – von Harmonisierung keine Spur.