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Mehr Sachlichkeit in den Medien könnte nicht schaden

Mehr Sachlichkeit in den Medien könnte nicht schaden © Kreml

Russland – Putin – Sotschi

Was sollte bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi im Mittelpunkt stehen? Der Sport oder die Politik? Natürlich der Sport und das Wohlbefinden der Olympiateilnehmer. Um eine erste Bilanz zu ziehen: Die Sportler – konkret die deutsche Mannschaft – loben Atmosphäre und Objektivität der russischen Gastgeber. Dies zählt.

Liest man Berichte deutscher Medien zur Eröffnungsfeier, kann man die Einschätzung des Ex-Kanzlers Gerhard Schröder, Berichterstattung und Kritik zum Thema Sotschi wären „ideologisch geprägt und reichlich unfair“, nur unterstreichen. Kostproben? Sotschi sei die Übersetzung für Putins Spiele der Propaganda sowie dessen Selbstdarstellung mit einer gigantischen PR-Maschinerie; Sotschi seien Spiele mit einem noch umstritteneren Ruf als die Peking-Olympiade in einem Klima der Diskriminierung und der Verletzung der Menschenrechte. Schließlich sei der finanzielle Aufwand für das Wintermärchen zwischen Schwarzem Meer und Großen Kaukasus als bisher teuerste Winterspiele zu groß. Dies alles unter Hinnahme der Umweltzerstörung.

Bei so starkem Tobak in deutschen Medien haben sich auch einige Politiker einspannen lassen. Sie schwimmen auf der Welle der veröffentlichten Meinungen. Einerseits wird die strategische Partnerschaft Deutschlands und der EU mit Russland beschworen, andererseits „glänzte“ Deutschlands Bundespräsident durch Abwesenheit bei der Eröffnungsfeier. Viele sahen darin eine Brüskierung des Sports. Die oft postulierte Freundschaft gegenüber dem gastgebenden Russland sieht jedenfalls anders aus!

Vom „Reich des Bösen“ zur Demokratie

Aber klammern wir die politische Bewertung der Olympischen Winterspiele nicht aus. Was kann man Wladimir Putin als Präsident der Russischen Föderation ankreiden? Man kann ihm, wie jedem Politiker – denken wir an Obama, der angeblich sogar befreundete Regierungschefs hat abhören lassen –, natürlich Vieles anlasten, wenn in den Brotkrümeln gesucht wird. Aber man soll bitte Putin nicht auf die diktatorische Stufe mit den Führern der alten Sowjetunion stellen. Putin und vorher Boris Jelzin haben in Russland demokratische Strukturen eingeführt und dies war alles, bloß nicht leicht, wenn daran erinnert werden darf, dass die russischen Menschen immer eine diktatorische Obrigkeit – ob Zaren oder die Sowjetführer – hatten. Vielleicht sollten sich auch Redaktionen daran erinnern, weshalb die frühere Sowjetunion während des Kalten Krieges als „Reich des Bösen“ (US-Präsident Reagan) bezeichnet wurde. In der gesamten Sowjetzeit von 1918 bis 1991, von Lenin bis zu Gorbatschows Vorgänger Tschernenko, war die UdSSR eine hochgerüstete Diktatur und nach 1945 eine ständige Bedrohung für den Westen. Die Sowjetunion stand für das Stichwort Gulag mit der systematischen Unterdrückung und Vernichtung einer jeglichen Opposition.

Der russische Schriftsteller und Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn hat in seinem berühmten Buch Archipel Gulag das ganze Drama der Zwangsarbeit in sibirischen Lagern beschrieben. 50 Millionen Menschen starben, so sagte nicht nur Solschenizyn, in den Lagern. Wahlen gab es nicht. Erst Boris Jelzin wurde als Präsident Russlands frei gewählt – leider führte ihn dann der Westen, als Russland durch innere Turbulenzen des Zerfalls geschwächt war, am Nasenring vor. Bei der Lösung (eigentlich der Nichtlösung) von Konflikten wie im Kosovo hat man Russland erst gar nicht gefragt. Dann wurde 2000 Putin in freien Wahlen Präsident Russlands. Wie man auch immer zu Putin stehen mag: Unter ihm wurde der größte Flächenstaat der Erde wieder als funktionierender Staat stabilisiert. Immer noch muss viel reformiert werden, aber Russland heute ist nicht die alte Sowjetunion, wo es undenkbar gewesen ist, dass irgendein Bürger auch nur sachte aufmuckte.

Ohne Russland geht es nicht

Zurecht hat Frank-Walter Steinmeier – bereits nach kurzer Zeit als neuer Außenminister ein Gewinn für die deutsche Politik – auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 darauf hingewiesen, dass eine auf lange Sicht konzipierte europäische Sicherheitsarchitektur ohne Russland nicht denkbar sei. Steinmeier: „Ohne Russland geht es nicht“! Deshalb stellt sich die Frage, weshalb wir in der deutschen Öffentlichkeit alles tun, jetzt vor und während der Spiele, Russland und seinen Präsidenten in Misskredit zu bringen. Wenn russische Oppositionelle die Meinung vertreten, in ihrem Land würde die Demokratie mit Füßen getreten, so stellt sich für unvoreingenommene Beobachter die weitere Frage, weshalb diese Opposition so wirkungsvoll in Russland auftreten kann, wo sie doch angeblich mit Repressalien rechnen muss! Zu Sowjetzeiten jedenfalls hätte sich eine Opposition überhaupt nicht entwickeln dürfen.

Wir sollten auch bedenken, dass Russland mit starken terroristischen Anschlägen konfrontiert wird. Deshalb haben Sicherheitsmaßnahmen mit der Einschränkung von Menschenrechten nichts zu tun. Auch die als Beispiel für die Verletzung der Menschenrechte genannte Pussy-Riot Band ist als Beleg ungeeignet und eher peinlich. Die Damen wurden nicht wegen Kritik am Präsidenten Putin bestraft, sondern wegen Gotteslästerung übelster Art und dies in der wunderschönen wieder aufgebauten Erlöser-Kathedrale in Moskau, die ein Symbol des gesamten gläubigen orthodoxen Russland darstellt. Dreiviertel der russischen Bevölkerung waren über das Verhalten der Pussy-Riot empört: Wie man eine ordinäre Handlung der feministischen Punk-Rock-Band in der Kathedrale, in der im Refrain vor dem Altar das Wort Gottesdreck fiel, in Deutschland verteidigen kann, belegt eigentlich nur noch die Verkommung guter Grundwerte.

Auch die hochgespielte angebliche Diskriminierung von homosexuellen Menschen (als gäbe es keine anderen Themen) in „Putins Reich“ ist nicht zutreffend, wie der russische Botschafter in Berlin, Wladimir Grinin, betont. Es gibt, so der Botschafter, in Russland keine Verbote für homosexuelle Menschen. Das im Westen kritisierte Gesetz verbietet allerdings die Propaganda der Homosexualität unter Minderjährigen. Dies ist ein großer Unterschied und „reflektiert vollkommen die Mentalität russischer Menschen, ihre nationalen Traditionen und Moral“, sagte Grinin. Auch wird in deutschen Medien verschwiegen, dass das angeblich diskriminierende Gesetz von einer absoluten Mehrheit der Russen befürwortet wird.

Handelspartner Russland

Die deutsche Wirtschaft ist über die offensichtlich gezielte Stimmungsmache gegen Russland und seinen Präsidenten verärgert. Das Fernbleiben des Bundespräsidenten bei der Eröffnungsfeier in Sotschi wird hinter vorgehaltener Hand bedauert. Der Verband der deutschen Automobilindustrie, für die Russland ein wichtiger Wachstumsmarkt wurde, sieht es nüchtern: Russland bleibe eine Herausforderung – aber an Russland gehe auch kein Weg vorbei. Die russische Wirtschaft entwickelte sich vor allem im Energiebereich zur Großmacht. Für Deutschland ist das Land sowohl bei Erdgas als auch im Ölbereich der mit Abstand wichtigste Lieferant. 31% aller deutschen Erdgasimporte stammen aus Russland – weit vor Norwegen mit 24% und der Niederlande mit 23%. Noch deutlicher ist die Position Russlands als Öllieferant Deutschlands mit einem Anteil von 36,2%, vor Großbritannien mit 13,8% und Norwegen mit 9,7%.

Es ist auch nicht so, dass Russland auf die Verkäufe nach Deutschland ausschließlich angewiesen wäre. Viele Kunden für russisches Erdgas stehen inzwischen ante portas. So entwickelt sich das energiehungrige China zum bedeutenden Kunden für russisches Gas und leistet sogar enorme Anzahlungen. Derzeit strukturiert Russland seine Wirtschaft um. Man will mehr in den Hightechbereich investieren. Dies sind Chancen für deutsche Unternehmen. Traditionell war Russland und die alte Sowjetunion neben der Position als Rohlstofflieferant immer sehr stark u.a. in der Raumfahrtindustrie sowie in der Wehrtechnologie. Hier insbesondere mit dem Bau von atomgetriebenen riesigen U-Booten mit interkontinentalen Flugkörpern. Russland setzt jetzt zusätzlich auf neue zivile Kompetenzen.

Der bilaterale Handelsumsatz (Import und Export) zwischen Deutschland und Russland erreichte 2012 einen Zuwachs von 7% und betrug 80,5 Milliarden Euro. 2012 wuchs das BIP Russlands um 3,4% auf 2.013 Milliarden $.

Inzwischen investieren russische Unternehmen in Erwerb oder Beteiligung westlicher Hightechfirmen wie beispielsweise durch den russischen Investor Viktor Vechselberg bei den schweizerischen Renommierfirmen Oerlikon oder Sulzer. Schlagzeilen macht Russland auch bei deutschen Werften. So wird aktuell die älteste, leider insolvente, Traditionswerft Sietas in Hamburg von der St. Petersberger Werft Pella Shipyard, die in der Branche einen hervorragenden Ruf hat, übernommen. Gute Erfahrungen wurden in Mecklenburg-Vorpommern gemacht, nachdem der russische Investor Vitaly Yusufov die unter dem Namen Nordic Yards firmierenden Großwerften in Wismar und Rostock übernahm. Nordic Yards hat sich auf den Bau eisgängiger Spezialschiffe konzentriert und ist Marktführer beim Bau von schwimmfähigen Offshore-Anlagen.

Deutsche Wirtschaft erhielt in Sotschi riesige Aufträge

Im aktuellen Umfeld der Winter-Olympiade in Sotschi war die deutsche Wirtschaft beim Bau der Anlagen und Infrastruktur einer der wichtigsten Nutznießer. Nach Informationen der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) erhielten ca. 100 deutsche Unternehmen Aufträge mit einem Gesamtwert von 1,5 Milliarden Euro. Dies ist auch interessant, weil in Deutschland der hohe Aufwand für Sotschi kritisiert wird. Die kritisierten Ausgaben für die Winterolympiade wurden aber nicht nur für die Spiele angelegt; die Region im Kauskasus wurde zum wichtigen russischen Wintersportzentrum ausgebaut und soll somit im schneesicheren Hinterland von Sotschi den Winter-Sporttourismus ankurbeln. Schließlich ist Sotschi Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2018 und der Formel 1, sodass der Ausbau der Infrastruktur – z.B. ein neuer Bahnhof – auch in diesem Kontext gesehen werden muss und den Aufwand für die Spiele relativiert.

Zahlreiche mittelständische deutsche Firmen wie Herrenknecht (Tunnelbohrmaschine), ebm-papst (Ventilatoren) oder Kannegießer (Waschanlagen) erhielten ebenso Aufträge wie Siemens u.a. für den Regionaltriebzug Desiro RUS, der in Sotschi eingesetzt wird oder ThyssenKrupp für Aufzüge bzw. Fahrtreppen. „Auch in Sotschi hat sich wieder gezeigt, dass die deutsche Wirtschaft auf höchstem Niveau in punkto Qualität, Service, Zuverlässigkeit und Technologie weltweit erfolgreich ist“, sagte Rainer Seele, Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer und Chef von Wintershall in Kassel.


(Recherche für diesen Beitrag: Auswärtiges Amt, AHK, Botschaft der Russischen Föderation in Berlin, Statistisches Bundesamt und eigene Recherchen des Zielgruppen-Medien Verlages (Der WirtschaftsReport)

 

Letzte Änderung am Donnerstag, 27 April 2017 14:39
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag