Das jetzige Scharmützel kann sich hochschaukeln. Das Asowsche Meer, das nur von der Ukraine und Russland einschließlich der Krim umschlossen wird, ist ein 39.000 qkm großes flaches Binnengewässer nördlich des Schwarzen Meeres. Seit der Fertigstellung der von Russland gebauten Brücke über die Meerenge von Kertsch, haben die Streitigkeiten zwischen der Ukraine und Russland zugenommen. Die Ukraine moniert angebliche russische Schikanen durch lange Wartezeiten an der Straße von Kertsch und beklagt wirtschaftliche Nachteile. So könnten große Schiffe nicht mehr unter der 35 Meter hohen Brücke durchfahren, was zu einem Rückgang des Umschlags im ukrainischen Hafen Marirpol geführt hätte. Die Ukraine beziffert den Verlust mit 50%. Dies ist aber schon deshalb nicht glaubwürdig, weil die geringe Wassertiefe im Asowschen Meer im Gegensatz zum direkt anschließenden extrem tiefen Schwarzen Meer nur eine durchschnittliche Tiefe von 8 Metern aufweist. Die tiefste Stelle beträgt 12 Meter. Größere Schiffe, die einen Tiefgang von über 9 Metern haben, würden dort auf Grund laufen. Es kann somit mit dem Argument der Ukraine nicht so weit her sein, dass „große Schiffe“ die Brücke nicht unterfahren können – dies können sie infolge der geringen Wassertiefe so oder so nicht!
Russland hingegen verweist auf bewusste Provokationen. Die Führung der Ukraine wolle schlicht und ergreifend testen, wie weit sie gehen könne. Schließlich wolle sich der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, dessen Umfrageergebnisse am Boden liegen, als starker und entschlossener Mann für die im März 2019 stattfindenden Präsidentschaftswahlen in seinem Land profilieren und habe deshalb den Zwischenfall angezettelt. Die Ukraine hat übrigens selbst schon russische Fischerboote mit ihren Besatzungen im Asowschen Meer festgesetzt, was von OSZE-Beobachtern auch bestätigt wurde. So lammfromm ist die Ukraine keineswegs und deshalb sollte man mit voreiligen Schuldzuweisungen in Richtung Russland vorsichtig sein. Schon seit längerem stachelt Poroschenko den Westen mit Verweis auf die Gasleitung Nord Stream 2, die zu verhindern sei, auf.
Unsinniges Gerede durch von der Leyen
Die Ukraine bestreitet die russischen Vorwürfe. Wie immer in solchen Fällen steht Aussage gegen Aussage. Inzwischen hat Ukraine-Präsident Poroschenko nach dem jüngsten Zwischenfall völlig überzogen das Kriegsrecht in seinem Land ausgerufen und Heißsporne versuchen, die NATO und insbesondere auch Deutschland in den Konflikt zu ziehen. Poroschenko fordert gar den Einsatz von NATO-Schiffen, ganz konkret auch von der deutschen Marine, im Asowschen Meer. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sicherte der Ukraine Rückendeckung zu, obwohl die Ukraine noch nicht einmal Mitglied des Militär-Bündnisses ist. Wie soll denn diese Rückendeckung aussehen? Öl ins Feuer goss leider auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die in der Auseinandersetzung im Asowschen Meer gar einen Beleg für die Notwendigkeit einer Europäischen Armee sieht, die – man muss sich diesen Unsinn auf der Zunge zergehen lassen – „wenn nötig robust in Konflikte eingreifen“ soll. Heißt dies im Umkehrschluss, dass eine Europa-Armee – so sie schon vorhanden wäre – in der Lesart von der Leyen jetzt im Konflikt Ukraine/Russland militärisch eingreifen soll? Es kann einem angst und bange werden. Nach einem derartigen Strickmuster sind in früheren Zeiten Weltkriege entstanden. Sarajewo lässt grüßen. Das „Geschwätz“ der deutschen Verteidigungsministerin zeigt aber auch, wie gefährlich es wäre, eine Europa-Armee „robust in Konflikten“ – und dies bei untergeordneten regionalen Konflikten – einzusetzen. Um es ganz klar zu sagen: Deutschland hat im Asowschen Meer, umgeben von Russland und der Ukraine nichts zu suchen – auch nicht als Teil einer „Europa-Armee“.
Nord Stream 2 von Ukraine-Zwistigkeiten entkoppeln
Die derzeit sehr kontrovers diskutierte Gaspipeline Nord Stream 2 eignet sich nicht zur „Strafmaßnahme“ einer politischen Verhinderung aufgrund aktueller Zwistigkeiten zwischen Russland und der Ukraine im Asowschen Meer. Die Pipeline ist vielmehr energiepolitisch notwendig. Deutschland braucht künftig wesentlich mehr Gas, wenn die letzten Atommeiler bei einem gleichzeitigen Ausstieg aus der Kohle abgeschaltet werden. Hinzu kommt infolge der umweltpolitisch gewollten E-Mobilität ein enormer Mehrbedarf elektrischer Energie. Wenn es auch die Kohle für die Stromproduktion nicht mehr sein darf, steht zur Absicherung der Stromversorgung im nennenswerten Umfang nur die Bereitstellung von Gaskraftwerken zur Verfügung. Die Bedeutung von russischem Gas wird daher versorgungs- und energiepolitisch zunehmen, zumal Länder wie Großbritannien, Niederlande und Norwegen ihre Gaslieferungen ressourcenbedingt reduzieren werden.
Die Alternative, per Fracking verflüssigtes Gas aus den USA, ist umweltpolitisch in Deutschland schwer vermittelbar. Es ist auch – durch den Verflüssigungsprozess und den Transport über den Atlantik – teurer gegenüber dem per Leitung ankommenden Gas aus Russland. Dies gilt beim Flüssiggas auch für Lieferländer aus dem arabischen Raum. Abgesehen davon, müsste die Infrastruktur für flüssiges Gas (z.B. Hafenterminals) in Deutschland erheblich ausgebaut werden. Deshalb sollte das energiepolitische Interesse Deutschlands Vorrang vor politischen Überlegungen mit einer Strafmaßnahme gegenüber Russland haben.