Hat die Welt nichts gelernt? Casus Belli liegt in der Ukraine
Tatsächlich schaukelt sich die Stimmung beim Thema Ukraine in Deutschland hoch. „Worte oder Waffen“ hieß eine Diskussionsrunde bei Anne Will. Es ging um die Frage, ob Deutschland Offensivwaffen in die Ukraine liefern solle. Die dortige Führung lässt keinen Versuch aus, die NATO und somit auch Deutschland zu gefährlichen Handlungen zu treiben. Die Politik der Ukraine ist unberechenbar. Dies war schon 2014 so – siehe unten die Vereinbarung vom 21.2.2014 mit dem Zeitzeugen Frank-Walter Steinmeier. Jetzt wurde der Vorgänger des aktuellen Präsidenten Wolodymyr Selensky, der langjährige prowestliche Petro Poroschenko, in seinem Land wegen Hochverrat angeklagt. Er soll Geschäfte mit den Separatisten gemacht haben, ein Vorwurf der selbst im Westen nicht ernst genommen wird.
Für was will die Ukraine deutsche Hightech-Rüstung? Warum will sie unbedingt in die NATO? Glaubt man in Kiew, dass die Ukraine Russland besiegen kann? Der Casus Belli liegt in Kiew! Was geschieht, wenn die Ukraine z.B. als NATO-Mitglied einen Konflikt auf der Krim provozieren würde und Russland zwangsläufig militärisch antwortet? Die Ukraine würde die NATO, damit auch Deutschland, um militärische Hilfe bitten. Deshalb lehnen 70% der Deutschen Waffenlieferungen in die Ukraine ab. Die Ukraine-Krise muss auch im Interesse der Ukraine diplomatisch gelöst werden. Alle Beteiligten – auch die USA – sollten militärische Szenarien zurückfahren, damit die Ukraine nicht zum Pulverfass wird.
Fehlen der heutigen Politik-Generation Geschichtskenntnisse?
Das derzeitige Agieren in der Ukraine-Krise erinnert fatal an die Ereignisse beim Beginn des 1. Weltkrieges im Juli 1914. Damals heizten sich die Ereignisse nach dem Sarajevo-Attentat vom 28. Juni 1914 durch gegenseitiges Misstrauen und Fehleinschätzungen – letztendlich auch durch Überheblichkeit und Arroganz – auf. Die Katastrophe war die Folge. Weder das Deutsche Kaiserreich mit dem Verbündeten Österreich-Ungarn, noch die Triple-Entende (Großbritannien, Frankreich, Russland) konnten aus Sturheit und fehlender Vernunft ein relativ einfaches Problem, nämlich die Folgen des Attentates, diplomatisch lösen. Entwickelt sich heute, wie damals, das Geschehen um die Ukraine zum Weltkrieg? Auslöser damals Serbien, heute vielleicht die Ukraine?
Die Ukraine-Krise wurde nicht durch Russland losgetreten, sondern bereits im Winter 2013/14 durch Destabilisierungen der vom Westen geförderten Maidan-Bewegung. Die Amerikaner setzten sich schon damals für die Aufnahme der Ukraine in die EU und NATO ein. Um Himmels Willen weshalb? Auf dem Höhepunkt des monatelangen Maidan-Chaos in Kiew unterzeichneten am 21. 2. 2014 (unter Vermittlung auch Deutschlands) westlich orientierte Kräfte der Ukraine und der noch amtierende damalige Präsident Janukowytsch eine Vereinbarung zur „Beilegung der Krise“. Mitunterzeichner war der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Die Tinte war noch nicht trocken, als die Maidan-Bewegung noch in der gleichen Nacht die gerade getroffene Vereinbarung wieder ablehnte und den Präsidentenpalast stürmte.
Gemeinsame Geschichte – die Kiewer Rus
Russland und die Ukraine haben eine gemeinsame Geschichte. Deshalb – dies ist der Fehler des Westens und der Medien – darf die Ukraine keineswegs nur aus der Sicht der ukrainischen Führung gesehen werden. Bereits unter den Zaren war die Ukraine russisches Staatsgebiet. Die „Kiewer Rus“ – ein mittelalterliches Großreich mit Russland, der Ukraine und Weißrussland – wurde zum Vorläufer eines gemeinsamen Staates. Im Vertrag von Perejaslaw verpflichtete sich 1654 der Zar zum Schutz der Ukraine. Die russische und ukrainische Sprache haben die gleiche altostslawische Grundlage. Immer noch stellt die russischsprechende Bevölkerung die zweitgrößte Gruppe in der Ukraine dar. In einigen Landesteilen dominiert sogar die russische Mehrheit. Donezk und Lugansk haben als prorussische Gebiete inzwischen einen Sonderstatus erhalten. Am Schwarzen Meer wurde die Millionenstadt Odessa 1794 auf Anweisung der russischen Kaiserin Katharina die Große gegründet. Die russischen Wurzeln der Ukraine sind allgegenwärtig!
Auch die Krim ist keineswegs Stammgebiet der Ukraine. Erst 1954 wurde sie anlässlich des 300. Jahrestages des erwähnten Vertrags von Perejaslaw als Geschenk der Zentralregierung der UdSSR der damaligen sowjetischen Teilrepublik Ukraine angegliedert – unter dem Dach des Zentralstaates UdSSR (kurz die Sowjetunion). Es war ein Symbolakt innerhalb der UdSSR. Am 16. März 2014 votierten 97% der wahlberechtigten Bevölkerung der Krim in einem Referendum für einen Anschluss an die Russische Föderation, nachdem die politischen Entwicklungen in der Ukraine und auf der Krim antirussisch wurden.
Westliche Demütigungen beschleunigten die Rückkehr Russlands zur Großmacht
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des „Kalten Krieges“ wurde die NATO systematisch in Richtung Osten erweitert – laut dem Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow entgegen den ehrenwörtlichen Zusagen an ihn. Denn ohne diese Zusicherung hätte er als Führer der Sowjetunion die Wiedervereinigung Deutschlands nicht erlaubt. Man glaubt dem „Vater des Endes des Kalten Krieges“. Dem in der Jelzin-Ära extrem geschwächten Russland fehlte die Kraft, um vom Westen bei den Osterweiterungen respektiert zu werden. Russland wurde gedemütigt und vor vollendete Tatsachen gestellt. Das Land war auf westliches Geld angewiesen! Die Rückbesinnung Russlands auf eigene Fähigkeiten erfolgte erst unter Wladimir Putin. Noch auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hat u.a. die Bundeskanzlerin Angela Merkel die weitere Ausweitung der NATO verlangt. Das brachte bei Putin das Fass zum Überlaufen. Putin hat dem Westen bereits nach seinem Amtsantritt klargemacht, dass trotz aller Pannen und finanzieller Schwächen Russland immer noch eine gewaltige Nuklearmacht ist.
Mit einer enormen Kraftanstrengung und der gleichzeitigen Zurückdrängung des Verkaufs russischer Ressourcen und Rohstoffunternehmen an das Ausland, hat Russland in den letzten Jahren seine militärischen Fähigkeiten eindrucksvoll mit neuen Waffen und Raketensystemen (Hyperschall-Lenkkörper) unterstrichen. Heute ermöglichen modernste Atom-U-Boote und Überwasserschiffe der russischen Marine atomar bestücke Hyperschallraketen abzuschießen und Ziele auch in den USA innerhalb von fünf Minuten zu erreichen. Russische Flugabwehrsysteme haben ihre Leistungsfähigkeit bewiesen und die Luftwaffe wurde mit modernsten strategischen Bombern und Jagdflugzeugen ausgerüstet.
Das Land will kein Bittsteller des Westens sein und verweist auf seine Sicherheitsinteressen. Ein etwaige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ist für Russland ein rotes Tuch: bis hierher und nicht weiter. Die Russen erinnern heute zurecht an die Aufregungen der Amerikaner während der Kuba-Krise. Die damalige Sowjetunion wollte Raketen auf Kuba installieren. Die Amerikaner forderten aus Sicherheitsgründen den Abzug der bereits gelieferten Raketen aus ihrem „Vorhof“ und riskierten sogar einen Atomkrieg mit der damals mächtigen Sowjetunion. Das gleiche Recht der Sicherheit beansprucht heute Russland!
Kompromiss für die Lösung der Ukraine-Krise ist möglich
Russland lehnt wie China eine erneute weitere Ausdehnung der NATO an seinen Grenzen ab. Es muss daher ein auch für Russland annehmbarer Kompromiss gefunden werden. Durch Drohungen („hoher Preis“, Sanktionen, Aus für Nord Stream II, Stationierung von NATO-Truppen an Russlands Grenzen) lässt sich Russland nicht mehr einschüchtern. Längst ist China wirtschaftlich in die Bresche gesprungen; der Außenhandel Russland/China erreichte die Größenordnung Deutschland/China. Der Warenaustausch Russlands mit China wird demnächst auf ein Volumen von 250 Milliarden US-Dollar klettern. Durch die neue Gaspipeline „Power of Siberia“ liefert Russland bereits gewaltige Gasmengen nach China. Russland und China haben im Rahmen ihrer strategischen Partnerschaft angekündigt, sich aufgrund ständiger Sanktionsandrohungen vom Westen unabhängig zu machen – konkret auch im Bereich der Halbleiterentwicklung. Inzwischen stellt Russland industrielle Hightech-Produkte selbst her. Der Westen straft sich mit Sanktionen selbst und verliert Absatzmärkte.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Verständnis für das russische Sicherheitsbedürfnis. Russlands vom Westen geforderte schriftliche Garantien für seine Sicherheit seien nachvollziehbar. US-Präsident Joe Biden ist im Interesse des Weltfriedens gut beraten, nicht auf Sturheit zu setzen. Wladimir Putin sieht die Dinge realistisch. Die USA und Russland seien, so Putin, führende Atommächte und weder die USA noch Russland könnten einen Atomkrieg gewinnen. Dies ist so und deshalb kann die Ukraine-Krise nur diplomatisch gelöst werden. Das Drama des 1. Weltkrieges entstand wie eingangs erwähnt durch Misstrauen, Arroganz und fehlende Bereitschaft zum Zuhören. Die Lösung der Ukraine-Krise könnte einfach sein. Die USA und ihre Verbündeten garantieren, die Sicherheitsinteressen Russlands anzuerkennen und im Gegenzug verpflichtet sich Russland zum Fortbestand der Ukraine. Ist es so schwer?