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Matteo Renzi verliert Verfassungsreferendum deutlich:

Matteo Renzi verliert Verfassungsreferendum deutlich: Pixabay

Maßlose Übertreibungen im Umfeld der Volksabstimmung

Matteo Renzi ist als italienischer Ministerpräsident bei seiner geplanten Verfassungsreform grandios gescheitert. Er wollte den Senat – neben der Abgeordnetenkammer gleichberechtigter Bestandteil des italienischen Parlamentssystems – in seinen Befugnissen per Verfassungsänderung, über die jetzt das italienische Volk abstimmte, drastisch einschränken. Der Senat bündelt vor allem die Interessen der Regionen. Verfassungsänderungen haben weltweit in allen Ländern ein ganz bestimmtes „Geschmäckle“ und bedürfen daher zurecht der Zustimmung durch das Volk.

Renzi, den man in Italien auch „Il Rottamatore“ (Der Verschrotter) nennt, wollte das Land in der Tat von alten Strukturen „entschrotten“. Dazu zählte er offenbar auch den Senat. Doch in einem Land, das sehr selbstbewusste Regionen mit dem Hang zur Verselbständigung hat, ist eine Beschneidung des Senats in der Wahrnehmung durch die Bevölkerung auch ein Anschlag auf die Rechte der Regionen und deren Menschen. So etwas wie die Entmachtung des Senates ist in Italien – und nicht nur dort – politisch tödlich. Dies hätte Renzi wissen müssen; nun hat er, zumindest vorläufig, sein politisches Schicksal als Ministerpräsident mit der Niederlage verbunden und trat zurück.

Unsinnige Gespenster

Wie schon beim Brexit in Großbritannien wurden durch die „Märkte“ sowie durch zahlreiche Politiker und Medien bei einer Ablehnung des Referendums Italien wirtschaftliche Katastrophen vorausgesagt. Italien könne für die EU ein noch schlimmeres Griechenland werden. Dringende und durchaus schmerzliche Reformen müssten ergriffen werden; Italiens Bankensektor würde zum Risiko für Europa, die wirtschaftliche Situation – so der Ökonom Hans-Werner Sinn – sei desolat und die italienische Volkswirtschaft nicht wettbewerbsfähig. In das gleiche Horn – wiederum wie beim Brexit – stießen auch die deutschen Medien. Fast in allen Wirtschaftsgazetten war von den kranken italienischen Banken die Rede, die 360 Milliarden Euro „faule“ Kredite in den Büchern hätten. Doch bereits bei der Definition, was eigentlich „faule“ Kredite sind, gehen die Meinungen selbst in der Fachwelt auseinander. Während die Banca d’Italia (die italienische Zentralbank entsprechend unserer Bundesbank) erst Kredite von offiziell in Konkurs gegangenen Firmen als notleitend, also „faul“ einstuft, bezeichnet der Internationale Währungsfond (IWF) bereits Darlehen der Geschäftsbanken an Kunden, die mit Zahlungen nach 90 Tagen in Verzug sind, als notleitend. Allein durch diese differenzierte Beurteilung weichen die Größenordnungen der „faulen“ Kredite erheblich voneinander ab. Ist also alles übertrieben? Zu einem großen Teil ja, aber viele Gefahren sind real.

Es stimmt: Italien hat Probleme, die auch aus der jüngeren Vergangenheit mit der extremen restriktiven Fiskalpolitik der Regierung unter Mario Monti (Ministerpräsident 2011 – 2013) zusammenhängen. Das Land hat auch aktuell in der EU vergleichsweise eine hohe Steuer- und Sozialabgabenquote und liegt bei der Umsatz- und Unternehmenssteuer im oberen Bereich. Bei der Staatsverschuldung liegt Italien mit 133% an der „Spitze“ der großen Industrieländer. Allerdings Ist das Land z.B. weit von der entsprechenden Verschuldungsquote Japans (248% vom BIP) entfernt. Ein großes Problem für Italien ist auch die europäische Flüchtlingspolitik. Das Land ist über das Mittelmehr das klassische Einfallstor für afrikanische Flüchtlinge. Italien nimmt für die EU in der Flüchtlingspolitik enorme Belastungen auf sich. Doch sind diese Probleme eher sekundär.

Fundamental starke Unternehmen

Bei der Beurteilung der angeblich fehlenden Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft machen viele Ökonomen (auch Hans-Werner Sinn) und Medien einen gravierenden Fehler. Sie verwechseln die politischen Rahmenbedingungen des Staates für die Unternehmen mit der realen Leistungsfähigkeit der Firmen. Italien besitzt – dies ist der große Unterschied zu Griechenland und auch zu Spanien – eine hochentwickelte Industrie mit zahlreichen Weltmarktführern. Die oft mittelständisch geprägten größeren Familienunternehmen – in weiten Kreisen weitgehend unbekannt – sind in der Nische nach wie vor hervorragend aufgestellt. Dies gilt auch für Schlüsselbranchen wie z.B. die Werkzeugmaschinenindustrie.

Die italienische Werkzeugmaschinenindustrie ist z.B. im Jahr 2015 – abschließende Zahlen für 2016 liegen naturgemäß noch nicht vor, werden aber wieder gut ausfallen – mit einem Umsatz von 5,2 Mrd. Euro der viertgrößte Werkzeugmaschinenhersteller weltweit und mit 3,2 Milliarden Euro sogar der drittgrößte Exporteur der Branche. Gerade die Werkzeugmaschinenindustrie widerlegt ganz eindeutig das Gerede von der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit. Auch die italienische Großwerft Fincantieri liefert riesige Kreuzfahrtschiffe als Hichtech-Produkte sozusagen am Fließband ab und ist noch deutlich vor der renommierten deutschen Meyer Werft positioniert.

Ein weitere Erfolgsstory stellt der weltgrößte Brillenhersteller Luxottica mit einem Umsatz von über 9 Mrd. Euro dar. Das Familienunternehmen (Inhaber und Seniorchef ist Leonardo Del Vecchio) beschäftigt in den Bereichen Optik, Design und Spezialglas 78.000 Mitarbeiter. Ebenfalls ein Familienunternehmen stellt die weltweit führende Industrieholding für Stahlumwandlung (Stahl in Form zu bringen), Marcegaglia, dar. 5,4 Millionen Tonnen Stahl werden jährlich in zahlreichen Werken mit 7.500 Beschäftigten für die verschiedensten Anwendungen umgeformt und verarbeitet. Der Umsatz des Technologieführers, der auch auf dem deutschen Markt gut positioniert ist, wird auf ca. 6 Milliarden Euro geschätzt.

Spezialisten, Hightechfirmen, Markenartikel

Weitere „heimliche“ italienische Weltmarkt- und Qualitätsführer sind Prysmian (Kabelhersteller und Glasfaser), Brembo (Hightechbremssysteme), Petrolvalves (Ventile mit einem Gewicht von über 100 Tonnen für Pipelines der Öl- und Gasindustrie sowie Spezialarmaturen), Leitner (Seilbahnen und innovative Mobilitätskonzepte im öffentlichen Nahverkehr in Metropolen), Danieli als Spezialist im Schweranlagenbau oder Finmeccanica (Luft- und Raumfahrt, Verteidigungsindustrie). Im Markenartikelbereich Lebensmittel, Süßwaren und Getränke ist Italien herausragend mit Ferrero, Campari, Segafredo Zanetti, Lavazza, Illy, Barilla u.a. vertreten. Und wer kennt nicht die Erfolgsunternehmen Armani, Benetton oder Geox, um wiederum nur wenige Adressen zu nennen?

Die Liste ließe sich beliebig weiterführen etwa durch den Energieriesen ENI/Agip, der auch in Deutschland ein Tankstellennetz unterhält. Oder durch das Pharmaunternehmen Menarini, dessen deutsche Tochter Berlin-Chemie allein über 4.500 Beschäftigte zählt. Der traditionsreiche Zementhersteller Dyckerhoff gehört zum italienischen Zementkonzern Buzzi-Unicem. Im Dienstleistungssektor gehören die italienische Generali-Gruppe mit ihrer deutschen Tochter zu den größten Versicherungsunternehmen in Deutschland. Generali global zählt zu den größten und besten Versicherungsgesellschaften der Welt. Die frühere Hypovereinsbank, die Unicredit Bank AG, ist Bestandteil der riesigen italienischen Großbank Unicredit-Group.

Last but not least sind natürlich die italienischen Edelmarken der Automobilindustrie zu erwähnen. Ferrari etwa und Maserati als Traumfahrzeuge und Kompetenzreferenz für Qualität und Technologieführerschaft oder die wieder aufkommende Marke Alfa. Die Agnellis, die über ihre Finanzholding Exor den riesigen Fiat/Chrysler Konzern (FCA) kontrollieren, sind nach wie vor eine italienische Familieninstitution. Zwar wurde inzwischen aus steuerlichen Gründen nach dem Erwerb von Chrysler Amsterdam zum Verwaltungssitz – doch die gesamten operativen Entscheidungs- und Verwaltungslinien sowie das Herz des Konzernes befinden sich natürlich nach wie vor in Turin. Dies gilt auch für den Schwesterkonzern CNH Industrieal u.a. mit den Marken Iveco, Case Landmaschinen oder Magirus (Weltmarktführer Feuerwehrfahrzeuge und Feuerwehrtechnik) in Ulm.

Wichtiger Partner für Deutschland

Die italienischen Unternehmen – die vorgenannte Aufzählung unterstreicht dies – sind natürlich wettbewerbsfähig. Gegenteilige theoretische Aussagen halten einer realen Bestandsaufnahme nicht Stand. In Deutschland zählen die Italiener zu den wichtigen Investoren in den verschiedensten Branchen – auch dies unterstreich dieser Beitrag durch die erwähnten Beispiele. Italien ist gleichzeitig insbesondere für Deutschland ein wichtiger Handelspartner. 2015 betrugen die italienischen Ausfuhren weltweit 413,9 Milliarden Euro. Hauptabnehmerländer sind Deutschland mit 12,6% vor Frankreich mit 10,5%, den Vereinigten Staaten mit 8,9% und United Kingdom mit 5,5%. Italien ist, gemessen am Bruttoinlandsprodukt mit 1.659,2 Milliarden Euro, die viertgrößte Volkswirtschaft der EU – wenn Großbritannien die EU endgültig verlassen hat sogar die drittgrößte – mit sehr großem Abstand vor Spanien, der Niederlande, Schweden und Polen – von kleinen Volkswirtschaften wie Österreich, Tschechien u.a. gar nicht zu reden.

Italien wurde immer wieder – schon vor Jahrzehnten – abgeschrieben und ist ebenfalls immer wieder wie Phönix aus der Asche aufgestiegen. Ein Land, das seit 1945 schon über 60 Regierungen hatte, ist für Außenstehende nur schwer zu begreifen. Man kann dies auch positiv sehen, wenn Regierungen bei einer Unzufriedenheit sofort in die Wüste geschickt werden. Im Gegensatz zum politischen Tagesgeschäft besitzt Italien im jeweiligen Präsidenten der Italienischen Republik, der auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, einen Garanten für den Zusammenhalt der Nation. Der Staatspräsident – Amtsinhaber ist Sergio Mattarella – spielt jetzt nach dem Rücktritt von Renzi eine entscheidende Rolle.

Letzte Änderung am Freitag, 07 April 2017 12:30
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag