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Sprengt Mattarella zeitversetzt die EU?

Zerreißt die EU-Fahne, wird es nach dem Brexit ein Italxit geben? Es wäre eine Katastrophe, und das politische Berlin nicht ganz unschuldig. Zerreißt die EU-Fahne, wird es nach dem Brexit ein Italxit geben? Es wäre eine Katastrophe, und das politische Berlin nicht ganz unschuldig. © Pixabay

Kardinalfehler des Staatspräsidenten

Die EU steht wieder einmal vor einer Zerreißprobe. Wie beim Brexit. Nicht durch die Staatsverschuldung Italiens (siehe auch). Diese ist durchaus beherrschbar, wie auch Daniel Gros, Direktor der renommierten CEPS, Think Tank über EU-Angelegenheiten, im „Heute-Journal“ des ZDF am 28.5.2018 feststellte. Italien, so Gros, hat sogar einen „satten Außenhandel-Bilanzüberschuss“, die Probleme im Lande seien politisch hausgemacht. Und wir fügen hinzu: Nicht zuletzt durch Fehler des bisherigen politischen Establishments.

Die jetzt heftig aufkommende Bedrohung für die EU und den Euro hat auch nicht der zunächst von Staatspräsident Sergio Mattarella für das Amt des Ministerpräsidenten beauftragte Giuseppe Conte zu verantworten. Auch nicht die Personalie des erfahrenen Politikers Paolo Savona für das Amt des Finanzministers. Man muss Savona nicht mögen und verteidigen. Es war aber ein grundsätzlich schwerwiegender Fehler des Staatspräsidenten den Kandidaten Savona von vornherein – auch in der internationalen Wahrnehmung – zum Politikum hochzuspielen. Dadurch erhielt der Vorgang erst eine gewisse Brisanz und Eigendynamik. Und ein geradezu unverzeihlicher Fehler war Mattarellas Begründung der Ablehnung mit der angeblichen Reaktion der Finanzmärkte und Ratingagenturen.

Das Volk ist oberster Souverän

Die höchste Instanz – dies mögen zuweilen Politiker vergessen – ist in einem demokratischen Staat immer der oberste Souverän, das Volk, das seine Souveränität in freien geheimen Wahlen zum Ausdruck bringt. Dies gilt auch für Italien, das noch nicht einmal eine Präsidialdemokratie wie die Vereinigten Staaten oder mit Abstrichen Frankreich darstellt. Das Volk hat in Italien – nimmt man noch die Forza Italia hinzu – dem bisherigen politischen Establishment, das insbesondere in den letzten Jahren versagte, im März 2018 mit den Wahlen eine klare entschiedene Absage erteilt. Dies muss auch ein italienischer Staatspräsident respektieren – er ist auch von der italienischen Verfassung keineswegs mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet. Er kann sich letztendlich nicht „al gustare“ über Wahlergebnisse hinwegsetzen und einen Ministerpräsidenten gewissermaßen „backen lassen“.

Der jetzt von Mattarella für die Bildung eines Übergangs-Kabinetts bis zu den Neuwahlen beauftragte Carlo Cottarelli (er wird voreilig in Deutschland hochgelobt – und ist somit schon wieder in Italien verdächtig) war ja schon unter den Ministerpräsidenten Enrico Letta und Matteo Renzi für das alte Establishment als „Sparapostel“ tätig und damit überfordert. Renzi hat sich dann auch prompt von Cottarelli getrennt. Ob dieser jetzt überhaupt die notwendige Vertrauensabstimmung im Parlament gewinnt, darf angesichts der eindeutigen Mehrheitsverhältnisse für die Lega und die Fünf-Sterne (vermutlich auch durch die Forza Italia) bezweifelt werden.

Armutszeugnis

Völlig zurecht hat bereits der Chef der „Fünf-Sterne“ Partei die Frage gestellt, welchen Sinn Wahlen haben, wenn die Ratingagenturen schlussendlich diese entscheiden würden. Es kann doch für einen verantwortlichen italienischen Politiker – egal welcher Couleur – kein Entscheidungskriterium sein, ob private angelsächsische Agenturen ein Land möglicherweise aus durchsichtigen Gründen in der Kreditwürdigkeit abstufen. Allein die Argumentation des italienischen Staatspräsidenten für seine Ablehnung eines vorgesehenen Ministers mit „der Reaktion der Finanzmärkte“ zu begründen, ist ein jämmerliches Armutszeugnis für den obersten Repräsentanten eines so stolzen Landes wie Italien, dem auch Deutschland seit den Zeiten der Römer so unendliche viele kulturelle Werte zu verdanken hat. Sollen Politiker der drittstärksten europäischen Wirtschaftsmacht vor den „Märkten“ kapitulieren? Was soll ein derartiger Unsinn! Wenn beispielsweise irgendwo auf der Welt, sei es in Amerika, Asien oder Europa, eine riesige Pipeline gebaut wird und dafür einhundert Tonnen schwere Hightech-Absperrventile des italienischen „Hidden-Champion“ PetrolValves benötigt werden, dann liefert diese Italien, ob die „Märkte“ das Land abstufen oder nicht, weil das Unternehmen auf seinem Gebiet Weltklasse darstellt. Volkswirtschaftliche Stärke begründet sich durch industrielle Leistungen und weniger durch Analysten-Gerede.

Jetzt erst recht

Mattarella hat jetzt das Gegenteil dessen erreicht, was er in seinem Land durchsetzen wollte. Die Italiener(innen) werden bei den bald kommenden Neuwahlen das rechte Lager noch stärker machen. Dann könnte genau das auf der europäischen Ebene eintreten, das jetzt auch von deutschen Medien befürchtet wird – der Italexit! Italien ist in der Tat nicht Griechenland und lässt sich weder durch Brüssel, Paris oder Berlin – schon überhaupt nicht durch Ratingagenturen – am Nasenring durch die Manege führen. Mattarella, der jetzt die demokratischen Wahlergebnisse mit Füßen trat und sich vor den Ratingagenturen verbeugte, sollte von sich aus zurücktreten. Den schon formiert sich der Protest des Volkes gegen ihn. Natürlich ist auch der italienische Staatspräsident kein Notar. Das verlangt auch niemand vor ihm. Vieles spricht aber dafür, dass das Establishment, das eigentlich Italien insbesondere seit 2011 in die politische Krise führte, mit Hilfe des Staatspräsidenten den Willen der Wähler(innen) in Italien nicht akzeptieren und wieder einmal, wie so oft, Zeit gewinnen wollte. So etwas geht nie gut.

Letzte Änderung am Dienstag, 29 Mai 2018 16:44
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag