Demokratie und „Populisten“
Wie zu erwarten, zeichnen sich deutsche Politiker und Medienvertreter jetzt wieder als Besserwisser durch eine bissige Kritik an der vermutlich neuen Regierung der „Populisten“ in Rom aus. Doch was heißt Populisten, wenn sich diese auf eine breite Mehrheit der Bevölkerung stützen können? Sind Populisten diejenigen, die nicht in das durch Brüssel, Berlin und Medien verordnete Weltbild des Mainstream passen? Das italienische Volk hat sich bei den März-Wahlen 2018 klar gegen das bisherige Establishment abgehalfterter Parteien entschieden. Dies ist Demokratie! Mit dem „alten“ Establishment sind ausdrücklich auch die seit 2011 regierenden Ministerpräsidenten Mario Monti, Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo Gentiloni gemeint.
Sie alle hatten die Chance zur Weiterentwicklung Italiens (weg von der ewigen Kungelei im Stil der lange staatstragenden Democratia Cristiana, die jahrzehntelang die Ministerpräsidenten stellte) nicht genutzt. Stattdessen wurden sie vom italienischen Volk als Höflinge der Brüsseler Eurokraten wahrgenommen: EU-Bürokraten in Brüssel, die in ihrer Regulierungswut sogar die in Italien so typischen offenen Olivenöl-Kännchen in den Trattorien verbieten wollten, was auf einen enormen Widerstand der Italiener stieß. Es sind diese Kleinigkeiten und Dummheiten der EU, die man in Italien nicht vergessen hat und Schritt für Schritt zur EU-Verdrossenheit der Bürger(innen) führten.
Wie in Österreich hatten die Wähler in Italien das Politgeklüngel mit dem Ziel des puren Machterhaltes für die „etablierten“ Parteien satt. Auch in Österreich hatten die Bürger dem Politfilz SPÖ und ÖVP bei den Wahlen zum Nationalrat eine Absage erteilt. Sind die Wähler deshalb Populisten? Wohl kaum. Und in Deutschland? Erst wollte die SPD auf keinen Fall in eine neue Bundesregierung, dann peilte die Union eine schwarz-gelb-grüne Koalition an – zum Schluss fiel die SPD wieder um und bildete erneut ein schwarz-rotes Bündnis. Die Macht und die Posten hat man sich wieder brüderlich geteilt. Die Kanzlerin wollte an der Macht bleiben, offensichtlich egal mit wem! So entsteht Politikverdrossenheit oder die Bürger wählen dann irgendwann eben nicht mehr das „Establishment“.
In Deutschland verkümmert die ehemals so stolze und verdienstvolle SPD immer mehr zur Sektiererpartei, wie aktuelle Umfragen zeigen. Die Menschen fragen sich, welche und vor allem wessen Interessen die Partei eigentlich noch vertritt. In den ehemaligen SPD-Hochburgen in NRW und in den Ortsverbänden im Ruhrgebiet könnte man der SPD-Führung gute Antworten und Ratschläge geben … Und die Unionsparteien? Auch diese verleugnen immer mehr unter Angela Merkel ihr früheres bürgerlich-konservatives Profil. Auch da wird die Stunde der Wahrheit leider für diese so große Partei der deutschen Nachkriegsgeschichte kommen. Und der Hoffnungsträger FDP? Sie ist und bleibt leider eine Wackelpartei! Dabei hätten die Liberalen gerade jetzt so großartige Chancen.
Deutsche Besserwisserei – ungefragte Ratschläge
Obwohl das neue Kabinett Conti in Rom noch nicht vereidigt ist, geht das „Fegefeuer“ auch deutscher Politiker und „Beobachter“ gegen die künftige italienische Regierung schon los. Aus den Fehlern der auch persönlichen Beleidigungen gegen Donald Trump haben deutsche Politiker und Medienvertreter offenbar nichts gelernt. Auch Brüssel hat die Lektion durch den Brexit nicht verstanden. Der beschworene Untergang ist in Großbritannien nicht eingetreten, das Bruttoinlandsprodukt stieg sogar. Bei einem weiter so mit den deutschen Belehrungen und Prophezeiungen ist der Zerfall der EU tatsächlich programmiert. Belehrungen und Drohungen, etwa mit der Kürzung von Finanzzuweisungen gegen Ungarn und Polen, wurden und werden in den Ländern bei den Menschen ganz negativ registriert. Auch jetzt kommt deutsche Kritik in Italien überhaupt nicht gut an.
Die deutschen „Weltformat-Politiker“ und EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) und Manfred Weber (CSU) haben sich ungefragt jetzt schon zu Italien gemeldet. „Die Zeichen stehen auf Sturm“ warnte Brok und sollte Italien seinen Kurs jetzt ändern, habe das Land keinen Anspruch auf Solidarität. Die düstere Drohung nach Rom untermauert Brok mit wüsten Prophezeiungen: Italien werde einbrechen; die Bundesregierung, weiter so Brok, müsse dem Land seine Grenzen aufzeigen. Deutschland als Zuchtmeister!
Über einen derartigen Unsinn der „Scharfrichter“ kann man nur den Kopf schütteln. Brok vergisst scheinbar, dass Italien Nettozahler in den EU-Haushalt ist. 2016 waren es immerhin noch 2,3 Milliarden Euro. Etwas konzilianter war Manfred Weber. Er warnte die neue Regierung in Rom vor einem „Spiel mit dem Feuer“. Der Vernunft widersprechende Aktionen könnten eine neue EU-Krise hervorrufen, meinte Weber. Wie wahr – aber warum die voreilige Beschwörung? Wäre es nicht angebracht, jetzt erst einmal die weitere politische Entwicklung in Italien abzuwarten? Lega-Chef Matteo Salvini empfahl Weber schon einmal, sich um sein eigenes Land, nämlich Deutschland, zu kümmern. „Lasst uns wenigstens erst anfangen, dann könnt ihr uns kritisieren“, sagte der Fünf-Sterne-Verhandlungsführer Di Maio.
„Schnorrer von Rom“ – und Frankreich?
Den Rat von Matteo Salvini sollten auch deutsche Medien beherzigen. Überschriften wie „Italien macht den Bankräuber“ oder „Die Schnorrer von Rom“ (Jan Fleischhauer in Spiegel Online) heizen unnötig das Klima auf. Vielleicht dürfen die Kritiker daran erinnert werden, dass sich die neue italienische Regierung in bester Gesellschaft mit Frankreich befindet. Der Unterschied der Ankündigungen in Italien zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron besteht lediglich darin, dass dieser seine Anliegen geschickter in der Öffentlichkeit „verkauft“ hat. Macron will die Probleme Frankreichs durch die EU, sprich Deutschland, finanzieren lassen. Darauf laufen seine Ideen einer souveränen Währungsunion mit einem europäischen Haushalt, der durch einen europäischen Finanzminister der Eurozone kontrolliert wird, hinaus. Schulden verlagern nennt man das.
Zwar haben die wirtschaftsnahen Kreise der Union zunächst noch das Schlimmste von Macrons Plänen verhindern können, aber immerhin steht im aktuellen deutschen Koalitionsvertrag, dass Deutschland gemeinsam mit Frankreich die EU aus der Krise führen und die Eurozone durch höhere Budgets stabilisieren will. Im vorauseilendem Gehorsam will die Bundesregierung ab 2020 höhere Beiträge in die EU-Kassen zahlen. Im Wirtschaftsmagazin BILANZ wurde darauf hingewiesen, dass im Élysée-Palast die Champagnerkorken knallten, weil Macron das Ziel wohl erreichen wird, nämlich „seine eigene riesige Baustelle mit dem deutschen Steuergeld zu schließen“ – nochmals, wo liegt im Ansinnen der Unterschied zu Italien?
Italien: Starke Realwirtschaft mit Weltklasseunternehmen
Im Übrigen ist Italien nicht Griechenland, sondern die drittstärkste Volkswirtschaft in der EU mit einer bedeutenden und durchaus wettbewerbsfähigen Realwirtschaft durch erstklassige Weltmarktführer wie FCA (FIAT Chrysler Automobiles), CNH Industrial – beide Firmen werden durch die Agnellis kontrolliert –, Ferrari, Maserati, Brembo, Pirelli, Luxottica, Fincantieri, Marcegaglia, Caprari, Prysmian, Leonardo, PetrolValves, de’Longhi, Salini-Impregilo, Ferrero, Campari, Benetton, Trevi-Group/Soilmec, Tod’s Group oder die Energieriesen ENI/Agip oder Enel, um nur wenige Unternehmen zu nennen.
Die italienische Werkzeugmaschinen- bzw. Maschinenindustrie war auch wieder 2017 äußerst erfolgreich und ist nach Deutschland - aber deutlich vor Frankreich und United Kingdom – in Europa die Nummer 2 als Herstellerland der Vorzeigebranche. Die italienische Wirtschaft gehört in Deutschland zu den wichtigsten Investoren, für die stellvertretend im Bereich der Dienstleister die Weltplayer Generali und UniCredit genannt werden.
Auch die Staatsverschuldung Italiens wird teilweise verzerrt dargestellt. Das Land ist nach einer aktuellen Analyse der KfW-Bankengruppe vom März 2018 in der Schuldentragfähigkeit durchaus weiter „stabil“. Die Verschuldung Italiens ist mit einer Quote von 131,5% zum Bruttoinlandsprodukt sogar im Vergleich zu Japan noch komfortabel (236% des BIP). Italien besitzt mit 2.452 Tonnen mehr Goldreserven als so wichtige Länder wie China, Japan oder United Kingdom (Quelle: Gold.de) und schließlich brauchen die Devisen- und Goldreserven einen Vergleich mit anderen Ländern nicht zu scheuen (Quelle: CIA World Factbook). Italien wird wohl auch weiter die übrigens schon seit Jahrzehnten immer wieder prophezeiten Untergangsszenarien überstehen.