Zunächst hat der jahrzehntelange Bürgerkrieg, insbesondere nach 1945, China ausgelaugt. Vorher litt das Land unter dem „Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieg“ von 1937-1945, der zur japanischen Besetzung Chinas führte. Doch Ruhe kehrte auch nach dem Ende des 2. Weltkrieges immer noch nicht ein. Jetzt ging es um die Vorherrschaft in China durch interne Strömungen. Akteure waren die konservative Kuomintang-Partei unter Chiang Kai-shek und die kommunistische Bewegung unter Mao Zedong. Mao gewann schließlich und Chiang Kai-shek zog sich auf die Insel Taiwan zurück. Dort gründete er die Republik China. Für das riesige chinesische Festland waren die verschiedenen Auseinandersetzungen keine guten Voraussetzungen. Hinzu kam, dass eine funktionierende Infrastruktur für die Entwicklung des Landes nicht vorhanden gewesen ist.
Schließlich musste die junge Volksrepublik China nach 1949 mit einem enormen Anwachsen der Bevölkerung mit den damit verbundenen Problemen für die Ernährung und Versorgung der Menschen fertig werden. 1956 betrug die Anzahl der Einwohner „nur“ 500 Millionen. Heute sind es 1,4 Milliarden. Mao versuchte zunächst mit mehreren Maßnahmen, den enormen Rückstand des Landes in der Industrie aufzuholen. Berühmt wurde seine Initiative „Großer Sprung nach vorn“ zwischen 1958 – 1961. Doch ausgerechnet in dieser Zeit wurde China mit einer großen Hungersnot konfrontiert. Das Land litt oft unter Überschwemmungen und Dürren. Die Folge war – während des Großen Sprungs besonders extrem – die teilweise enorme Vernichtung der Ernten mit dem traurigen Ergebnis der großen Hungersnot. Deshalb wollte Mao neben dem industriellen Aufbau mit dem „Großen Sprung“ zwei Ziele erreichen. Erstens sollte die Wasserwirtschaft mit dem Bau von Stauseen reguliert werden, um Überschwemmungen der landwirtschaftlichen Nutzflächen besser in den Griff zu bekommen. Ein Nebenprodukt war zunächst die Stromproduktion durch die Wasserkraft. Das berühmte Drei-Schluchten-Projekt mit dem größten Wasserkraftwerk der Welt (ca.22.000 MW-Nennleistung – dies entspricht der Leistung von 15 KKW der Isar 2-Klasse) wurde erst viel später, nämlich 1995 unter Deng Xiaoping, als bedeutendes Infrastrukturvorhaben gestartet.
Die zweite Säule der Initiative „Großer Sprung“ war die Forcierung der Stahlproduktion. Stahl galt in der Zeit zwischen 1950 bis 1970 als das Schlüsselprodukt für die wirtschaftliche und militärische Entwicklung. 1958 war – wie in Indien – die Stahlindustrie in China bedeutungslos. Lediglich bescheidene 5,35 Millionen Tonnen wurden 1958 produziert. Auf dem Höhepunkt der Strategie „Mini-Stahlwerke“ erzeugten sage und schreibe 90 Millionen Menschen mit einfachsten Anlagen, Zigtausend sehr kleine Hochöfen, verteilt über das gesamte riesige Land, den Werkstoff Stahl. Doch auch diese Strategie der Ausweitung der Produktion war trotz enormer Zielvorgaben letztendlich nicht erfolgreich.
Deng reformierte das Land – Hunderte Millionen aus der Armut geführt
Dies änderte sich erst nach der Machtübernahme – nach einer Zwischenperiode nach dem Tod von Mao (1976) – durch Deng Xiaoping. Deng öffnete vorsichtig das Land und verband seine Reformpolitik mit einer sozialistischen Marktwirtschaft mit staatlichen Großunternehmen. So wurde z.B. aus der erwähnten Stahlproduktion mit 5,35 Millionen Tonnen im Ablauf der folgenden Jahre bis 2018 die Position des inzwischen weltweit größten Stahlproduzenten mit 928,3 Millionen Tonnen erreicht. Die früheren wichtigsten klassischen Stahlländer – auch das benachbarte Japan – wurden in der Stahlproduktion längst überholt.
Inzwischen hat sich China unter der aktuellen Führung von Präsident Xi Jinping – seit 2012 in der fünften Generation nach Mao Generalsekretär der Kommunistischen Partei und seit 2013 Staatspräsident – mit einem Bruttoinlandsprodukt von 13.407 Milliarden $ zur zweitgrößten Volkswirtschaft nach den USA (20.413 Milliarden $) entwickelt. China gehört zu den wichtigsten Akteuren im Welthandel. Im Herbst 2013 hat Xi Jinping erstmals sein neues Großprojekt „One Belt – One Road“ (Die neue Seidenstraße) mit einer Investitionssumme von ca. 1.000 Milliarden US-Dollar vorgestellt. Es handelt sich um Projekte der Infrastruktur wie Häfen, Staudämme, Pipelines, Kraftwerke, Zugverbindungen, Straßen u.a. Maßnahmen entlang der alten Seidenstraße (siehe WirtschaftsReport April 2019). China will mit diesem Projekt neue Märkte für seine Wirtschaft erschließen.
Mit vielen Technologien – etwa 5G Netze – sieht sich China nach einem schier unglaublichen Aufholprozess in einer führenden Rolle. Der Aufstieg Chinas hat längst globale und militärstrategische Auswirkungen auch infolge der neuen Achse mit Russland. Doch immer wieder wird die kommunistische Führung in Peking trotz aller wirtschaftlichen Erfolge mit Forderungen nach mehr Menschenrechten konfrontiert. Doch dabei wird oft übersehen, dass das riesige China mit 9,6 Millionen qkm (entspricht der siebenundzwanzigfachen Fläche Deutschlands) und seinen über 1,4 Milliarden Menschen nicht nach traditionellen westlichen Maßstäben geführt werden kann. Vergessen wird auch, dass der Westen bei „befreundeten“ Ländern andere Maßstäbe – etwa in Saudi Arabien – anlegt.
Bei aller Kritik westlicher Länder darf nicht übersehen werden, dass China nach seiner Reform- und Öffnungspolitik in den letzten Jahrzehnten hunderte (!) Millionen Menschen aus der Armut geführt hat, wie auch die Friedrich-Ebert-Stiftung ausdrücklich bestätigt. Dies ist vielleicht neben der eigentlichen prosperierenden Entwicklung Chinas der größte Erfolg nach 70 Jahren Volksrepublik China. Dennoch sieht sich China selbst nach Aussagen seiner führenden Politiker immer noch als ein Schwellenland, das alles in allem noch nicht mit den Vereinigten Staaten verglichen werden kann. Aber unbestreitbar stellt die Entwicklung vom 1949 daniederliegenden Land zur heutigen Position Chinas eine Erfolgsgeschichte ohne Beispiel dar.
Ärger im Jubiläumsjahr
Doch ausgerechnet im Jubiläumsjahr muss China mit zwei großen Herausforderungen fertig werden. Dies ist erstens der Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten und zweitens die Entwicklung in Hongkong. In der Tat besteht im Außenhandel mit den USA eine deutliche Schieflage, d.h. die Vereinigten Staaten kauften 2018 für 539,5 Milliarden $ chinesische Waren und stärkten somit ganz entschieden die wirtschaftliche Kraft Chinas, während China „nur“ für 120,3 Milliarden $ US-Produkte abnahm. Deshalb moniert US-Präsident Donald Trump den enormen negativen Saldo. China wäre daher gut beraten, für eine Angleichung im Außenhandel mit den USA zu sorgen. Damit würde den derzeitigen Auseinandersetzungen mit den USA eine wichtige Grundlage entzogen.
Der zweite Ärger Pekings liegt in den derzeitigen Auseinandersetzungen in der Sonderverwaltungszone Hongkong. Eigentlich basiert der eigentliche Anlass des immer wieder aufkommenden Protestes in Hongkong in der unglücklichen Vertragsgestaltung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Volksrepublik China für die 1997 erfolgte Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie an China. Das Vereinigte Königreich hat 1898 für 99 Jahre die „New Territories“ rund um Hongkong von China gepachtet – aber nicht die eigentliche Hauptinsel Hongkong Island und Kowloon, die bereits vorher fester Bestandteil des britischen Empire waren. Schon Jahre vor dem Auslaufen des Pachtvertrages für die New Territories beanspruchte die Volksrepublik diese Gebiete und insbesondere auch Hongkong Island und Kowloon, die ohne das Hinterland der Pachtgebiete allein nur schwer überlebensfähig gewesen wären. Während die Briten klarstellten, dass sie die New Territories vertragsgemäß räumen würden, war dies für Hongkong Island und Kowloon aus britischer Sicht noch offen. Es wurde also in vielen Verhandlungsrunden hart zwischen der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher – die „Eiserne Lady“ – und Chinas Führer Deng Xiaoping gerungen.
Schließlich einigte man sich am 19.12.1984 (die Ereignisse beim Falkland-Krieg zeigten, dass mit den Briten unter Thatcher nicht zu spaßen war) mit dem Kompromiss „Ein Land, zwei Systeme“. Hongkong und die New Territories wurden 1997 der Volksrepublik China übergeben – aber für weitere 50 Jahre wurde der weitere Bestand des vorhandenen marktwirtschaftlichen Systems mit einer zusätzlichen weitgehenden Autonomie Hongkongs vereinbart. Global gehört zwar Hongkong seit 1997 zur Volksrepublik, aber Hongkong hat weiterhin eine eigene Währung und ist in vielen Organisationen ein eigenständiges Mitglied. Die Autonomie betrifft natürlich das tägliche Leben der Bevölkerung in Hongkong. So wird nach wie vor im Straßenverkehr Hongkongs im Gegensatz zur Volksrepublik „britisch“ links gefahren.
Ein Konstrukt „Ein Land, zwei Systeme“ kann eigentlich auf Dauer nicht funktionieren. In der Praxis sieht dies so aus: Hongkong ist chinesisch – aber nicht ganz! Darin liegt der Zwist. Das System „Ein Land, zwei Systeme“ darf nicht die Plattform für gewalttätige Demonstrationen – sichtbarer Beweis war die Gewalt der Demonstranten bei der Besetzung des Airports in Hongkong – sein. Immerhin ist der von den Briten als Abschiedsgeschenk gebaute Flughafen Hongkong als Drehscheibe mit über 70 Millionen Passagieren und als führendes Frachtzentrum zu wichtig, um Chaos zu dulden. Wer auch immer die Drahtzieher der Protestbewegungen in Hongkong sind: Glaubwürdiger Protest ist die eine Seite, Chaos und Gewalt eine andere. Hongkong ist natürlich in der jetzigen Konstruktion trotz allem Ärger ein Brückenkopf zum Kapitalismus; er ist für die Volksrepublik als Wirtschafts- und Finanzzentrum enorm wichtig. Ein militärisches Eingreifen in Hongkong würde die Volksrepublik in der weltweiten Reputation zurückwerfen. Und dies ausgerechnet im Jubiläumsjahr!