Doch, wie jüngste Vorkommnisse zeigen, wird auch die Biolandwirtschaft mit nicht wenigen Skandalen konfrontiert, sodass kritische Beobachter wie der Agrarexperte Georg Keckl von der Scheinheiligkeit der Biobranche-Verbände sprechen. Wenn die Biolandwirtschaft aber in der Tat selbst mit Sünden der Tierhaltung, deren Fütterung und dem Beimengen von Antibiotika konfrontiert wird, fragen nicht wenige Verbraucher, wohin eigentlich die Landwirtschaft gewendet werden soll. Auch die Biolandwirtschaft wurde inzwischen zur ganz normalen Branche, in welcher natürlich auch der Geschäftserfolg im Vordergrund steht und in der es infolgedessen auch menschelt! Leider erfassen die ideologischen Auseinandersetzungen um die Zukunft der Landwirtschaft sogar die bäuerlichen Familienbetriebe.
Landwirtschaft war (und ist) immer ein wichtiger Bestandteil der Volkswirtschaften dieser Welt. Auch heute ist etwa Deutschland ein Land mit einer bedeutenden Landwirtschaft, die zu den vier größten Erzeugern in der Europäischen Union gehört. Mit einem Produktionswert von 52,7 Milliarden Euro (2014) rangiert der Agrarsektor Deutschlands (Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei) z.B. deutlich vor dem Textil-, Bekleidungs- und Schuhgewerbe, der Papierindustrie und sogar noch vor der pharmazeutischen Branche. Mit 651.000 Beschäftigten ist die Landwirtschaft weiterhin ein enormer Faktor im Arbeitsmarkt. 47% der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft sind eigenständig tätig.
Wichtiger Wirtschaftsfaktor
Rechnet man zur direkten Landwirtschaft noch das gesamte Agrarbusiness (z.B. die Landtechnik-Industrie mit Traktoren, Mähdrescher sowie das Landtechnik-Handwerk und den Handel mit Landtechnik; Hersteller von Düngemitteln und Tierfutter und schließlich Dienstleistungen durch Tierärzte) hinzu, dann stellt das deutsche Agrarbusiness einen Produktionswert von 433 Milliarden Euro dar. Diese wenigen beeindruckenden Zahlen unterstreichen den Stellenwert der Landwirtschaft, die nach wie vor ein hohes Ansehen in der Bevölkerung genießt. Dies unterstreicht eine repräsentative Infratest-dimap-Umfrage, nach der 91% der Bevölkerung die Stärken der deutschen Landwirtschaft in der Erzeugung qualitativ hochwertiger Lebensmittel sehen. Hervorgehoben wurde mit 78% auch der wichtige Beitrag zur Pflege des deutschen Landschaftsbildes.
Dennoch gibt es immer wieder – wie erwähnt – Streit über die Agrarpolitik und die Ausrichtung der Landwirtschaft. Vor allem Agrar-Ideologen fordern verstärkt den „Öko-Landbau“ – eigentlich ein Widerspruch in sich, denn wenn je eine Branche Ökologie verkörpert, dann die Landwirtschaft. Auch wird die Bedeutung der Biolandwirtschaft überschätzt. Aber immerhin haben 2014 ca. 23.400 Betriebe 6,3% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland nach den Kriterien der Biolandwirtschaft „beackert“. Das Wort Bio wurde zum Kultbegriff. Viele Bürger erhoffen sich durch die Biolandwirtschaft eine bessere Agrarerzeugung mit gesünderen Produkten. Auch sei die Tierhaltung, z.B. Flächen pro Huhn, wesentlich besser im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft. Schließlich, so immer wieder vorgebrachte Argumente, seien z.B. Antibiotika in der Biolandwirtschaft nicht vorhanden. Futtermittel unterlägen strengen Auflagen.
Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein …
Ist dies alles so richtig? Ist die Biolandwirtschaft frei von den „Sünden“ der angeblichen Agrarindustrie? Wenn man die bekanntgewordenen Skandale auch in der Biolandwirtschaft sieht, sind berechtigte Zweifel angebracht. Der durchaus vorhandene Markterfolg mit Produkten der Biolandwirtschaft macht diese nämlich zu einem ganz normalen Akteur der Branche. Offen gesagt genügt ein Satz: Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder! Denn je stärker die Akzeptanz durch die Konsumenten zunimmt, um so mehr unterliegen auch die Produkte der Biolandwirtschaft den Zwängen der Märkte. Mit anderen Worten: Genau dies, was Ideologen der konventionellen Landwirtschaft vorwerfen, die „Industrialisierung“, ist inzwischen auch bei der Biolandwirtschaft infolge der Nachfrage zu beobachten.
Auch der Biolandverband musste jüngst gegenüber der „taz“ (siehe den taz-Beitrag „Antibiotika in Bioland-Ställen – Das merkt fast keine Sau“) zugeben, Landwirten der eigenen Organisation erlaubt zu haben, Tieren Antibiotika zu verabreichen, und zwar gegen die eigenen Regeln. Vor einigen Jahren wurden „Biohühner“ mit verseuchtem Mais aus der Ukraine gefüttert. Schließlich, so die „taz“, seien große Mengen Sonnenblumenreste aus Rumänien an Öko-Geflügel und Öko-Rinder verfüttert worden (ein Schelm, wer Böses dabei denkt). Der Agrar-Experte Georg Keckl hat schließlich das Vorurteil, Massentierhaltung in der konventionellen Landwirtschaft sei Tierquälerei, relativiert. So stünden z.B. nur ein Drittel der deutschen Kühle in Großställen (über 100 Kühle). Dies bedeute nicht, dass es Tiere in großen Ställen zwangsläufig schlecht hätten. Kühe gehe es in Großbetrieben nicht zwangsläufig schlechter als auf kleinen Höfen. Maßgebend sei nicht die Anzahl der gehaltenen Tiere, sondern wie diese gehalten werden.
Mehr Konsens wäre wünschenswert
Selbst Massentierhaltung müsse nicht automatisch Tierquälerei bedeuten. Auch die in Medien verbreitete These, dass 98% des in Deutschland verkonsumierten Fleisches aus der Massentierhaltung stamme, sieht Keckl reserviert: „Wenn dem so wäre, müssten alle deutschen Viehbauern, auch die landwirtschaftlichen Ökobetriebe, Tierquäler sein, denn etwa zwei Prozent des Fleischkonsum fällt auf Wild und eher seltene Fleischsorten“ (Georg Heckl: Die globalisierte Kuh – Milchwirtschaft im 21. Jahrhundert – in Zusammenarbeit mit dem Humboldt Forum für Ernährung und Landwirtschaft).
Ganz gewiss hat die Biolandwirtschaft aber für ein Bewusstsein für eine gesunde Ernährung gesorgt. Zweifelsfrei hat sie auch für eine offene Diskussion gesorgt. Sie darf aber, ganz bewusst auch in der gesamten Landwirtschaft, nicht mit dem Anspruch antreten, die alleinige Richtigkeit gepachtet zu haben. Die Ausgestaltung unserer Landwirtschaft und die agrarpolitischen Weichenstellungen gehören zu den großen Themen weit über Deutschland hinaus. Die wachsende Weltbevölkerung stellt für die Landwirte weltweit eine große Herausforderung dar. Deshalb sind Glaubenskriege innerhalb der Landwirtschaft eigentlich kontraproduktiv. Mit der Biolandwirtschaft allein lässt sich die Weltbevölkerung nicht ernähren. Es geht nur im Einvernehmen aller Beteiligten.