Während Söder offensichtlich auf Impfstoffe wartet und damit unter Umständen mit dem inzwischen reduzierten Shutdown bis zum jüngsten Gericht von den Bürgern Geduld einfordert (wie er gerade wieder in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ betonte), beurteilt sein Kollege Laschet realistischer etwa die Gefahren eines Zusammenbruchs der gesamten deutschen Volkswirtschaft mit einer damit verbundenen beschäftigungspolitischen Katastrophe bei den Arbeitsplätzen. Todesfälle, die Söder andererseits mit dem Shutdown verhindern will, entstehen aber auch indirekt, wenn immer öfters Menschen nicht mehr notwendige Operationstermine wahrnehmen können, wenn in Not geratene oder in die Einsamkeit getriebene Bürger und Altenheimbewohner nur noch den Ausweg im Suizid sehen.
Maßstäbe sortieren
Rechtfertigt Corona ein Auseinanderdriften der deutschen Gesellschaft? Ist die Corona-Katastrophe so schlimm, wie man es den Deutschen fast schon täglich auf allen Kanälen in den Brennpunkten des Fernsehens eintrichtert? Stehen wir vor dem Weltuntergang? Vieles erscheint maßlos übertrieben und je länger der Shutdown andauert, desto nachdenklicher werden die Menschen. Vor allem ältere Bürger, die aufgrund ihrer Erfahrungen schon ganz andere Herausforderungen erlebten. Zunächst musste Deutschland (daran muss gerade jetzt beim aktuellen 75. Jahrestag der deutschen Kapitulation im 2. Weltkrieg am 7. und 9. Mai 1945 erinnert werden) in den Folgejahren von 1945 enorme existenzielle Belastungen der verschiedensten Art wie Hunger, Kälte oder fehlende Wohnungen bestehen. Dies belegt so eindrucksvoll der Dokumentarfilm „The Spirit of Liberation“ (Produzent Konstantin von zur Mühlen), der die deutschen Städte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Jahr 1945 als riesiges Trümmerwüstenfeld zeigt. 7,7 Millionen Tote inklusive 2,2 Millionen zivile Opfer hatte allein Deutschland im 2. Weltkrieg zu beklagen und diese Zahlen sind im Vergleich etwa zu den Verlusten der Sowjetunion noch klein. Millionen Flüchtlinge aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und aus dem damaligen Sudentenland hatten alles verloren. Es fehlte an allem! Deshalb wäre es vielleicht heute angebracht, die Maßstäbe auch inmitten der Corona-Krise wieder etwas zu sortieren. Zeitenwechsel: Ohne Hysterie hatte Deutschland in den Jahren 1957/58 (noch ohne die „DDR“) bei der Influenza-Pandemie 30.000 Tote zu beklagen. Die Grippe 1968, ebenfalls ohne „DDR“, verursachte sogar 40.000 deutsche Todesfälle. Damit sollen natürlich heute die Corona-Opfer nicht kleingeredet werden – ganz im Gegenteil.
Verschwörungstheorien und China-Bashing
Inzwischen hat sich neben der eigentlichen Krankheit COVID-19 ein weiteres Ärgernis entwickelt – die derzeitigen Verschwörungstheorien. Die absurdesten Gründe für Corona geistern durch das Land. Doch wer soll ein Interesse an einer Pandemie haben, die Menschen hinwegrafft, Produktivvermögen vernichtet und die Wirtschaft zerstört? Der oft erwähnte Bill Gates oder die Verantwortlichen der Pharmaindustrie mit Sicherheit nicht. Schließlich auch China nicht, das aktuell mit einem regelrechten Bashing, leider auch aus Deutschland, konfrontiert wird. Verschwörungstheorien und Schuldzuweisungen insbesondere gegenüber China sind jedoch blanker Unsinn! Schließlich wurde China zu einem Land, das unter dem Corona-Virus ebenfalls extrem leidet. Auch wirtschaftlich wurde China durch die Krankheit direkt und indirekt betroffen; der chinesische Dienstleistungskonzern HNA ist extrem durch Corona belastet und benötigt eine Kapitalspritze. Grundsätzlich verursacht weder ein Land noch eine Organisation, schon überhaupt nicht eine einzelne Person, eine Katastrophe wie Corona mit Absicht! Wer im Sinne von Verschwörungen das Gegenteil behauptet, kann nicht glaubwürdig sein. Allein der relativ schnell erkennbare weltweite Zusammenbruch der Wirtschaft erfordert vielmehr den internationalen Zusammenhalt – auch und ganz bewusst mit China, immerhin inzwischen der wichtigste Wirtschafts- und Handelspartner Deutschlands.
Seit einigen Wochen wird China von einigen deutschen Medien mit einer oft unqualifizierten Kritik überhäuft. BILD-Chefredakteur Julian Reichelt warf gar die Frage auf, ob China weltweit für den „gigantischen Schaden“ durch das Corona-Virus aufkomme, gerade so, als ob das Land tatsächlich mit Absicht Corona gestartet hätte. Der größte „chinesische Exportschlager“, so Reichelt in einem sogenannten Offenen Brief an Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping weiter, sei das um die Welt gehende Corona. Diese Behauptung ist nicht nur bitterböse, sondern auch ausgesprochen unwahr und unklug. Wer so diskriminierend erkennbar ein Land beurteilt, beleidigt auch die Tüchtigkeit und den Fleiß der chinesischen Bevölkerung einschließlich ihrer jungen Ingenieure und Erfinder. Nur ein Beispiel: Es gelang der chinesischen Luft- und Raumfahrtindustrie mit der „China Aerospace and Technology Corporation (CASC)“ die erstmalige spektakuläre Landung auf der Rückseite des Mondes. Reichelt sollte eigentlich wissen: Dazu brauchte China keine Blaupause aus dem Ausland – es gab nämlich keine! Zahlreiche Schwierigkeiten waren in der Kommunikation zur Erde zu bewältigen, weil über die Mond-Rückseite eine direkte Funkverbindung nicht hergestellt werden kann. China kann in der Tat, um in der Wortwahl des BILD-Chefredakteurs zu bleiben, viele „Exportschlager“ aufweisen – diese könnte der Hamburger Julian Reichelt übrigens in seiner Heimatstadt im Hafen bewundern: Riesige Containerbrücken (auf der Autobahn vor dem Elbtunnel als Charakteristikum Hamburgs erkennbar) und Anlagen für Schwerstlasten des chinesischen Weltmarktführers ZPMC sorgen nämlich für eine gut funktionierende Hafenlogistik.
Daimler-Chef: China sichert deutsche Arbeitsplätze
Auch Springer-Vorstandsvorsitzender Matthias Döpfner rief indirekt in einem Beitrag im hauseigenen Blatt „Die Welt“ die Europäer dazu auf, nach der Corona-Krise eine Grundsatzentscheidung gegen China zu fällen. „Wollen wir weiter an der Seite Amerikas stehen oder an der Seite Chinas“, fragte Döpfner – doch genau diese Frage ist falsch. Europa braucht die Vereinigten Staaten als engen Freund und gleichzeitig China als bewährten Wirtschaftspartner, als Kunden und als Absatzmarkt! Vielleicht hat sich Döpfner an dem Inhalt eines soeben erschienenen neuen Buches mit dem Titel „Die lautlose Eroberung – Wie China westliche Demokratien unterwandert“ (Erscheinungstermin 11. Mai 2020 – DVA-Verlag) orientiert – ein Buch, das ein weiteres Beispiel für das China-Bashing darstellt. Die „lautlose Eroberung“ ist eigentlich ein alter Hut; diese Anschuldigungen musste sich schon Japan vor 60 Jahren aus Deutschland anhören. Schon damals gab es Bücher mit dem Titel wie etwa „Die Japanische Provokation“! Die Wirtschaft ist zum Glück nüchterner. Der neue Daimler-Chef Ola Källenius beurteilt hingegen z.B. das China-Geschäft gegenüber der BILD-Zeitung sehr realistisch: „Ich sage es ganz deutlich; dieser Markt sichert Arbeitsplätze in Deutschland“ und für den BASF-Chef Martin Brudermüller ist China der am schnellsten wachsende Markt für Chemieprodukte. Dies sind nur zwei Beispiele. Katastrophal belastet Corona (allerdings auch die in Deutschland hausgemachte Verteufelung des Verbrennungsmotors) die Nachfrage deutscher Fahrzeuge in wichtigen Märkten, die im Soge von Corona zum Teil geradezu katastrophal eingebrochen ist. Und gerade deshalb könnte sich das so angegriffene China mit seinem riesigen Absatzmarkt als Hoffnungsträger und Stütze für die deutsche Autoindustrie und ihrer gesamten Zulieferer (Bosch, Continental, ZF, Mahle usw.) entwickeln. Genau so sehen dies BMW, Daimler und die VW-Gruppe einschließlich Audi und Porsche. Reichelt und Döpfner scheinen eine alte kaufmännische Tugend, nämlich dass der Kunde König ist, nicht zu kennen. China ist längst für Deutschland auch ein zentraler und eminent wichtiger Kunde.
Zu allem Unglück wird das China-Bashing auch außerhalb Deutschlands befeuert. China mache durch Kredite immer stärker Afrika abhängig und finanziere beispielsweise aktuell mit 4,2 Milliarden US-Dollar einen riesiges Kohlekraftwerkekomplex in Simbabwe. Damit unterlaufe China die internationalen Bemühungen, Kohlekraftwerke nicht mehr zu finanzieren. Doch Simbabwe braucht elektrische Energie und ist auf seinen Rohstoff Kohle angewiesen. Man ist, so heißt es aus Regierungskreisen in Simbabwe, über die chinesische Hilfe sehr dankbar, weil ansonsten niemand geholfen habe. Doch die größte wieder aufkommende negative Stimmung gegen China kommt aus den Vereinigten Staaten. Mit einem angeblichen Dossier der Nachrichten-Kooperation „Five Eyes“, das einen Ausbruch des Virus aus einem Labor in China bzw. dessen Vertuschung beweisen soll, wird auch das chinesisch-australische Verhältnis gestört. Australien gehört neben den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Kanada und Neuseeland zu den „Five Eyes“ Partnern westlicher Geheimdienste und war Ausgangspunkt einer Zeitungsmeldung des australischen „Daily Telegraph“, demnach die Studie belege, dass China für den Ausbruch des Virus verantwortlich sei. Doch inzwischen ist aus Australien zu vernehmen, dass die Nennung von „Fife Eyes“ als Verfasser der Studie auf einem Missverständnis beruhe. Wie man sieht: Corona wurde und wird leider auch zum Hintergrund für die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Vereinigten Staaten und China. Die ganze Bandbreite von Vermutungen, Verdächtigungen und Behauptungen ist im Zusammenhang mit Corona auch deshalb so schädlich, weil es vielmehr darauf ankäme, im Sinne einer Besiegung des wirklichen „Feindes Corona“ alle internationalen Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln, um z.B. Medikamente oder Impfstoffe gegen das Virus zu entwickeln. Stattdessen simple Verschwörungstheorien und unbewiesene Schuldzuweisungen. Die Pandemie wurde leider zum Politikum!