Strauß war ab 1953 das Original des politischen Aschermittwoch
Dies hat sich dann ab 1953 schlagartig geändert, als der junge Franz Josef Strauß, schon damals wortgewaltig, als stellvertretender CSU-Vorsitzender im traditionsreichen Wolferstetter Keller in Vilshofen das Rednerpult betrat. Von nun an ging es jährlich in der Wortwahl deftig, gleichwohl gelegentlich auch intellektuell gewürzt, zu. Strauß konnte von 1953 bis 1988 (Jahr seines Todes) in 35 Jahren Politischer Aschermittwoch in Vilshofen und Passau, argumentativ mit dem Florett fechten, aber auch mit der Mistgabel („Saustall ohnegleichen“) austeilen. Doch es überwog im Publikum die Bierseligkeit, garniert mit Blasmusik. Vilshofen und Passau am Aschermittwoch – dies war eine Verlängerung des Faschings um einen Tag mit einer politischen Punksitzung.
Das niederbayerische Städtchen Vilshofen wurde zu einem Synonym und erreichte in der Strauß-Ära bundesweite Aufmerksamkeit. Der Wolferstetter Keller wurde bald für die Massen zu klein, die CSU zog in die riesige Nibelungenhalle und nach deren Abriss in die Geschichts- und seelenlose Drei-Länder-Halle, weit außerhalb der Passauer Innenstadt. Die Bayern-SPD füllte fortan die Lücke in Vilshofen aus. Aber auch den bayerischen Genossen war der Wolferstetter Keller zu eng – sie bevorzugten später große Bierzelte. 2019 besann sich die Partei allerdings wieder auf die Tradition und kehrte in den stimmungsvollen Biertempel in Vilshofen zurück, ohne aber, wie die CSU auch, an die großen Zeiten des Aschermittwoch anknüpfen zu können. Dieser „lebte früher“ vom Background der Redeschlachten eines Franz Josef Strauß mit Herbert Wehner und Willy Brandt im Bonner Bundestag. Die leidenschaftlichen – gelegentlich unter der Gürtellinie geführten – Debatten Strauß und Wehner („Papa, schalt aus, die bösen Männer sind wieder im Fernsehen“) waren die Steilvorlagen für Vilshofen und Passau. Selbst nach 1978, als Strauß Ministerpräsident in Bayern wurde, blieb der weiß-blaue Vollblutpolitiker stets bundesweit präsent. Eine der zahlreichen Bühnen war weiterhin der politische Aschermittwoch, dessen Gesicht er war: Das Markenzeichen war Strauß. Funk, Fernsehen, Magazine und Zeitungen – sie alle waren für einen Tag in Niederbayern. Die Medien sind, stark eingeschränkt, zwar auch heute noch präsent – aber die Aura eines Franz Josef Strauß fehlt. Außerdem müssen die Zeitungen sparen!
Unvergessen die früheren Fernduelle Passau/Vilshofen – einerseits Strauß, andererseits damals noch vorhandene bedeutende Persönlichkeiten der „königlich-bayerischen Sozialdemokratie“ (die gab es durchaus, wenn nur stellvertretend an Hans-Jochen Vogel erinnert werden darf). Die Redner in Passau und Vilshofen erhielten jeweils kleine Zettel mit Hinweisen der Sticheleien des Kontrahenten aus der Parallelveranstaltung von „nebenan“ gereicht. Und schon kam die Retourkutsche. Doch auch dies ist alles Vergangenheit.
Blass und langweilig
Zwar stimmt noch – insbesondere bei der CSU – die Regie der Chorographie im Saal, aber die Redner sind blass. Sehr blass sogar! 2019 wurde dies wieder überdeutlich wahr. Man kann halt gewisse Abläufe nicht kopieren. Inzwischen haben mehr oder weniger alle Parteien ihren Aschermittwoch, die Idee der stimmungsvollen Auseinandersetzung in einer Biertischatmosphäre wurde inzwischen von den anderen Parteien schlecht kopiert. In Bayern fehlt längst der CSU als Reibeisen die SPD, die, gemessen an den Stimmen nach der letzten Landtagswahl Bayern, nur noch „fünfter“ Sieger wurde und die großen Zeiten der einst allmächtigen „staatstragenden CSU“ sind inzwischen auch vorbei. Passau und Vilshofen haben das Alleinstellungsmerkmal für den politischen Aschermittwoch verloren, weil die SPD von anderen Parteien überflügelt wurde. Markus Söder, neuer CSU-Chef und Ministerpräsident Bayerns, kann die Leute nicht wirklich mitreißen. Da hilft auch der Verzicht auf die Krawatte nicht weiter.
Und auch dem EU-Spitzenkandidat Manfred Weber, der immer noch wie ein von der CSU nach Brüssel weggelobter Provinzpolitiker wirkt, fehlte jetzt in Passau die überzeugende Kraft. Das Weber-Argument des Friedensmodells EU stimmt übrigens hinten und vorn nicht, denn Frieden gab es z.B. im westlichen Europa der EWG (Benelux, Frankreich, Deutschland, Italien) auch ohne den Moloch Brüssel. Und Deutschlands Wirtschaft florierte auch in der EWG-Zeit. Jetzt schoss Weber sogar ein Eigentor gegen die Ungarn, deren Stimmen er aber in der EVP-Fraktion in Brüssel nach der Europa-Wahl im Mai 2019 braucht, wenn er tatsächlich Nachfolger von Jean-Claude Juncker werden will. Webers Aufritt in Passau glich einer langweiligen EU-Wahlkampfrede. Was Weber vergessen hat, ist die Tatsache, dass die EU-Verdrossenheit nicht vom Himmel gefallen ist. Die Bürger haben sehr wohl registriert, dass sie auf ihre Sparbücher keine Zinsen mehr bekommen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Im Wolferstetter Keller 2019 war es bei der ehemaligen bayerischen Hauptkonkurrenz, der SPD, allerdings auch nicht besser. Katarina Barley, SPD-Spitzenkandidatin für die EU-Wahlen, wirkte einschläfernd wie bei einer Laudatio für einen Kulturpreis und Natascha Kohnen, SPD-Vorsitzende in Bayern, zeichnete sich als Kontrast vor allem durch schrilles hysterisches Geschrei aus. Wenn dies wenigstens Folklore gewesen wäre. Die Zeiten und das politische Umfeld haben sich für die Sozialdemokraten geändert – nicht nur in Bayern. Und was war sonst noch am politischen Aschermittwoch bemerkenswert? Nicht viel. Die Grünen hatten ihr „Damentreffen“ in Landshut, die Freien Wähler waren in Deggendorf und die FDP zog nach Dingolfing. Auch die AfD veranstaltete schließlich ihren Aschermittwoch in Osterhofen. Für das Fernsehen war es schwer – wohin nur, wo soll der Schwerpunkt der Berichterstattung sein? Inzwischen veranstalten die Parteien auch in anderen Bundesländern einen politischen Aschermittwoch. Passau und Villshofen und ihre Alleinstellung – dies war einmal.