Ihre Zeit ist politisch allerspätestens seit dem Wahldebakel vom 24. September 2017 abgelaufen. Eigentlich sogar schon im September 2015, als die Kanzlerin am Parlament vorbei die verhängnisvollen Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik traf. Diese war letztendlich, wie Edmund Stoiber kürzlich sagte, der wahre Grund für den Einbruch der Unionsparteien bei der Bundestagswahl. Aber „Teflon-Angie“, so wird die Kanzlerin inzwischen sogar in der eigenen Partei genannt, klebt auch nach der Bundestagswahl regelrecht am Amt und will deshalb auf Teufel komm heraus unbedingt eine erneute Große Koalition, weil sie nur in deren Konstruktion die Chance einer weiteren Kanzlerschaft sieht. Dabei pfeifen es die Spatzen vom Dach, dass die SPD – wie schon am Wahlabend des 24. September verkündet – eine erneute Große Koalition nicht wirklich will und deshalb schon einmal kräftige Hürden aufbaut.
Umverteilungen und Belastungen
Diese SPD-Hürden (Forderungen einer vermeintlich „gerechteren Steuerpolitik“ sowie Änderungen in der Sozial- und Gesundheitspolitik inklusive des SPD-Steckenpferdes „Bürgerversicherung“) sind für die Union eigentlich unter normalen Umständen von vornherein nicht annehmbar, weil sie auf eine Umverteilung und Belastung in astronomische Höhen hinauslaufen. Aber was ist für eine Union derzeit „normal“, wenn die Kanzlerin unter allen Umständen Kanzlerin bleiben will? Wenn die Gefahr besteht, dass Merkel & Co alle Wünsche der SPD akzeptiert, ja akzeptieren muss, wenn die Genossen die GroKo auf Parteitagen und in Mitgliederbefragungen absegnen soll? Da der SPD sehr wohl bewusst ist, dass ihre Projekte – dazu gehört ja auch der Familiennachzug für Flüchtlinge - ohne Steuererhöhungen nicht finanzierbar ist, hat jetzt der stellvertretende SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel zugegeben, dass, so wörtlich, „die Gegenfinanzierung über die höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen und Vermögen erfolgen muss.“ Und dies in einem globalpolitischen Umfeld, in dem jetzt ab 2018 die USA ganz im Gegenteil zu den Vorstellungen der SPD, u.a. die Unternehmenssteuern senken, um als Standort für Investoren attraktiver zu werden. Sollte sich die SPD bei ihren Bedingungen für eine Koalition durchsetzen, besteht die große Gefahr von Abwanderungen nicht weniger deutscher Forschungs- und Industrieaktivitäten in die USA, die ohnehin nach der jetzt abgesegneten Steuerreform von Präsident Trump beflügelt werden könnten. So sieht es auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Die deutsche Wirtschaft hat die Gefahr einer wesentlichen Verteuerung des Standortes Deutschland erkannt und insbesondere der CDU-Wirtschaftsrat (siehe auch unseren Beitrag „Neue GroKo wäre selbstmörderisch“) hat sich kritisch zu einer neuen GroKo geäußert. Inzwischen melden sich weitere prominente Stimmen aus der Wirtschaft, die eine erneute GroKo sehr reserviert sehen. Zahlreiche erfolgreiche Familienunternehmer sind inzwischen offen – nicht nur weil sie Belastungen und Einschränkungen der Wettbewerbsfähigkeit befürchten – gegen eine erneute Große Koalition. So hat der Präsident des Verbandes „Die Familienunternehmer“, Reinhold von Eben-Worlée, vor der Entwicklung Deutschlands im Jahr 2018 zum steuerpolitischen Schlusslicht gewarnt. Auch Martin Herrenknecht, Chef des weltweit führenden Tunnelbohrmaschinenherstellers Herrenknecht, kritisierte im Wirtschaftsmagazin „BILANZ“ den Linksschwenk der CDU unter Merkel. Herrenknecht vermisst den Führungsanspruch zur Modernisierung Deutschlands sowie ein dafür in die Zukunft gerichtetes Programm 2035.
Auch die Unternehmer Heinz Hermann Thiele (u.a. Knorr-Bremse) und Nikolas Stihl (Stihl-Holding) würden eine Minderheitsregierung bevorzugen. Während Stihl bei einer erneuten GroKo eine Einigung mit der SPD nur bei der Realisierung ihrer kostenintensiver Projekte sieht, weist Thiele in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt“ darauf hin, dass eine Minderheitsregierung die Kanzlerin zu mehr Transparenz bei kritischen Themen in der Öffentlichkeit und im Parlament zwinge. Thiele hat schon in der Vergangenheit die Alleingänge der Kanzlerin , die zu einer teilweisen Aushebelung der Demokratie geführt hätten, beklagt.
Spitzengespräche, Vorsondierungen, Vorbereitungstreffen, eigentliche Sondierungen, Verhandlungen
Nun soll am 3. Januar 2018 ein erneutes Spitzentreffen die Marschroute für die am 7. Januar beginnenden Sondierungen festlegen. Irgendwie gleicht dies alles einem Kasperletheater: Spitzengespräche, Vorsondierungen, Vorbereitungstreffen für die Sondierungsgespräche, wieder Spitzengespräche, schließlich und endlich Sondierungen und, so Gott will, dann endlich Verhandlungen, und, und, und… Dies alles ähnelt einer Bananenrepublik. Dabei werden die Töne zwischen Union und SPD schon ruppiger und nehmen Züge der Beleidigungen an. Von „halbstarken Junge“ sprach Thorsten Schäfer-Gümbel und meinte damit Vertreter der Unionsparteien.
Während die SPD-Frontfrau Andrea Nahles im Magazin SPIEGEL einen höheren Spitzensteuersatz und eine „Reichensteuer“ forderte, lehnt dies insbesondere die CSU durch Markus Söder bereits entschieden ab. Der Unternehmer Michael Bahlsen, Präsident des einflussreichen CDU-Wirtschaftsrates, fordert zurecht eine „solide Haushaltspolitik“ und beanspruchte infolgedessen das Finanzministerium für die Union. Damit erteilte der CDU-Wirtschaftsrat einem eventuellen Finanzminister Martin Schulz eine klare Absage. Starke Differenzen zeichnen sich auch in der für die Haushaltungen kostenintensiven Flüchtlingspolitik ab. Während die SPD den Familiennachzug fordert, hat nun der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Thomas Strobl eine neue Zielmarke von 65.000 Flüchtlingen pro Jahr in einem Gespräch mit der „Heilbronner Stimme“ vorgeschlagen. Diese Anzahl liegt sogar deutlich unter der von der CSU geforderten Obergrenze von maximal 200.000 Flüchtlingen. Dies alles unterstreicht die erheblichen und grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Union und SPD. Auch insofern wäre daher eine Minderheitsregierung nicht nur die schnellere, sondern auch die vermutlich bessere Lösung für die Bildung einer neuen Bundesregierung. Denn zanken werden sie sich in einer neuen GroKo so oder so!
Konkrete Nachteile bei einer längeren Hängepartie
Die derzeitige Hängepartie mit einer nur noch geschäftsführenden Bundeskanzlerin und Bundesregierung kann jedenfalls keine Dauerlösung sein, wie zurecht die deutsche Bauindustrie feststellte. Der neue Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Dieter Babiel, befürchtet enorme Nachteile auch für die Schlüsselbranche Bau, wenn die Regierungsbildung weiter so schleppend Konturen annimmt: „Wir haben ein richtig großes Problem, wenn Mittel für Bauvorhaben mangels einer handlungsunfähigen Bundesregierung blockiert sind und Bauvorhaben deswegen ins Stocken geraten“, so Babiel. Konkret können 2018 neue Großvorhaben des Bundes im Bereich Ausbau und Sanierung erst nach der Verabschiedung des Bundeshaushaltes in Angriff genommen werden.
Die Unionsparteien sind gut beraten, das Thema Nachfolgerin für Angela Merkel zu forcieren, denn eine Minderheitsregierung will sie als Kanzlerin nicht führen und eine neue GroKo ist nur zum Preis der Akzeptanz unrealistischer SPD-Vorstellungen zu bekommen. Wenn Angela Merkel die SPD-Vorstellungen akzeptiert, ist für reichlich Zoff auch innerhalb der CDU gesorgt. Die Endzeitstimmung um Angela Merkel ist längst im Gange. Noch streuen die letzten Getreuen, böse Zungen sprechen von Hofschranzen um Merkel, die These einer fehlenden Alternative zur Kanzlerin. Würde dies zutreffen, so wäre es jedoch für die CDU mit dem Anspruch einer Volkspartei, ein Trauerspiel und gleichzeitig eine weitere Bestätigung dafür, neue Führungsköpfe in der Partei endlich in den Vordergrund zu bringen. Denn auch dieses Unterlassen gehört zu den großen Versäumnissen der CDU-Parteivorsitzenden Merkel. Auch in der Politik gehört es zu den wichtigsten Aufgaben, rechtzeitig, wie in der Wirtschaft üblich, neue Persönlichkeiten aufzubauen.