Um was geht es? Eigentlich weigert sich Polen seit der Merkel’schen Willkommenskultur für Flüchtlinge einen Quoten-Verteilungsschlüssel für Zuwanderer aus Syrien und Afrika mitzutragen. Die im September 2015 in die Welt flimmernden Fernsehbilder täglicher Flüchtlingsströme am Münchener Hauptbahnhof und die endlosen Kolonnen an deutsch-österreichischen Grenzübergängen etwa in Freilassing oder Passau, waren für die polnische Bevölkerung ein wichtiger Anlass, am 25.10.2015 die dortige konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zur mit Abstand stärksten Partei im polnischen Parlament zu machen. In der demokratischen Wahl erhielt die PiS, trotz Trommelfeuer gegen die Partei in westlichen und insbesondere deutschen Medien, mit 235 von 460 Sitzen im Parlament die absolute Mehrheit. Polen plädiert bei der Quotenverteilung für eine freiwillige Aufnahme und will wissen, wer in das Land kommt. Zu erinnern ist auch, dass Polen z.B. bereits mehr als eine Million ukrainischer Zuwanderer aufgenommen hat.
Polen hat eine christliche Tradition
Deutschlands östliches Nachbarland ist nach wie vor ein stark katholisch geprägter Staat. In keinem Land der Welt ist der Anteil der Katholiken mit ca. 90% von der Gesamtbevölkerung so hoch. Land und Bevölkerung wollen ihre christlich-katholische Identität und Kultur auf keinen Fall preisgeben. Die in Polen unvergessenen verstorbenen Kardinäle Stefan Wyszinski und sein Nachfolger Józef Glemb waren in der sowjetischen Vasallenzeit als jeweiliger Primas von Polen eine Stütze und Orientierung. Insbesondere beim Widerstand gegen die Kommunisten vor dem Fall des Eisernen Vorhanges. Ebenfalls unvergessen bleibt auch die diskrete und entscheidende Rolle von Primas Wyszinski bei der Wahl des damaligen Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyla zum Papst Johannes Paul II. Damit leitete der weltweit in der katholischen Kirche angesehene Primas eine wichtige Weichenstellung für den späteren Zusammenbruch des kommunistischen Einflusses ein. Diese Rolle der katholischen Kirche beim Freiheitsdrang der Polen u.a. auch durch die Unterstützung der Solidarnosc, wird nach wie in der dortigen Bevölkerung nicht vergessen. Aktuell ist Wojciech Polak Primas von Polen. Dies alles muss man verstehen, wenn man die Gründe des hohen Einflusses der polnischen Kirche in der Politik und Öffentlichkeit hinterfragt.
Justizreform wird verzerrt dargestellt
Der zweite Grund des Sperrfeuers aus Brüssel gegen Polen ist neben der Quotenregelung für Flüchtlinge die vorgenommene Justizreform in Polen. Ausdrücklich, dies wird zuweilen in deutschen Medien großzügig vergessen, erlaubt es der EU-Vertrag Polen (wie jedem anderen EU-Mitgliedsland) seine Justiz in einem demokratischen Prozess zu reformieren. Die Drohungen der EU-Kommission gegenüber einem souveränen Staat sind daher kontraproduktiv und nicht berechtigt. Die jetzige polnische Regierung wurde schließlich von der polnischen Bevölkerung – nochmals sei es gesagt – bewusst gewählt. Nun wird hier in Deutschland die Meinung suggeriert, nach der polnischen Justizreform könne der dortige Justizminister „genehme“ Richter ernennen. Dies ist keineswegs so zutreffend. Alle Richter werden in Polen weiterhin vom Landesrichterrat, einem Verfassungsorgan, ernannt. Die Frage bisher war aber, wer die Mitglieder des Rates wählt. Vor der Justizreform wurde die Mehrheit von den Richtern selbst gewählt. Man war also ein in sich geschlossener Kreis (böse Zungen sagten auch Klüngel), aber auch die Justiz hat sich dem Souverän, dem Volk, zu beugen. Ganz im Gegenteil fehlte bisher eine demokratische Kontrolle der Justiz durch das Volk über ihre Parlamentsvertreter. Künftig wird das Parlament die Mehrheit des Landesrichterrates wählen – ein ganz normaler demokratischer Vorgang, der in keiner Weise den Werten der EU widerspricht.
Übrigens nur ganz nebenbei: Auch in Deutschland werden beispielsweise die höchsten Bundesrichter durch einen Richterwahlausschuss, dem die 16 Justizminister der Bundesländer sowie die gleiche Anzahl von Bundestagsabgeordneten angehören, gewählt. Auch in Deutschland wählen die Richter ihre künftigen Kollegen nicht selbst. Dies ist auch ganz normal. Weshalb dies in Polen falsch sein soll, wissen vermutlich die deutschen Kritiker der polnischen Justizreform selbst nicht. Dass die polnische Opposition ihre Anhänger, die nach wie vor in der Minderheit sind, für Demonstrationen mobilisiert, ist doch normal. Kaum ist der neue französische Präsident im Amt, wird schon heftig seine Politik kritisiert.
Wer die bisherigen polnischen Verhältnisse in der Justiz kennt, hat immer wieder deren Arbeitsweise heftig beanstandet. Immerhin hat der Europäische Gerichtshof z.B. Polen gerügt, weil die dortigen Verfahren sich bisher zu lange hinzogen. Dass die Justiz reformiert werden musste – dies ist in der polnischen Bevölkerung unbestritten. Von einer Beschneidung der Gewaltenteilung kann keine Rede sein. Gewiss können jetzt einige Detailfragen des gesamten Reformpaketes noch geändert werden. Deshalb hat der polnische Staatspräsident Andrzej Duda, der das erste Paket bereits absegnete, einige Vorschläge für Detailänderungen angekündigt. Im Grundsatz hat der Präsident aber klargestellt, dass die Notwendigkeit der Justizreform besteht.
Deutschland sollte sich zurückhalten
Gerade Deutschland sollte gegenüber Polen mehr wie zurückhaltend sein. Was dem früheren Bundeskanzler Willy Brandt so großartig gelang, nämlich die Aussöhnung mit den Polen voranzutreiben (Helmut Kohl führte dieses Werk fort), sollte heute durch Deutschland nicht wieder verspielt werden. Deutsche Belehrungen sind daher völlig unangebracht und kommen in Polen nicht gut an. Es ist einfach bedenklich, wenn die Justizreform in Polen in den deutschen Medien völlig verzerrt dargestellt wird. Weder ist in Polen die Demokratie „fundamental geschädigt“, noch sind ausländische Investoren in Polen beunruhigt. Beunruhigt ist in Polen die Opposition, seit sie die Parlamentswahl so hoch verloren hat. Dass in Polen Bürger demonstrieren, die die PiS nicht gewählt haben, ist wie bereits ausgeführt völlig normal. Dies kann aber kein Kriterium sein. Beobachter, die in Polen leben, sehen die Aufregungen der EU gelassen.
Polen hat traditionell eine enge Verbindung zu den Vereinigten Staaten und auch zu Großbritannien. Die Gängelungsversuche der EU-Kommission gegenüber Polen könnten sich auch handelspolitisch zum gefährlichen Eigentor entwickeln. Polen ist nicht nur Empfänger von EU-Überweisungen; das Land ist aufgrund seiner 38 Millionen Bürger ein enorm wichtiger Absatzmarkt für Produkte. Allein Deutschland hat 2016 für 54,8 Milliarden Euro Waren nach Polen exportiert. Polen will in der EU bleiben – aber nicht um jeden Preis!