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Eine neue Chance für Europa

Eine neue Chance für Europa © Pixabay

Jean-Claude Juncker will mehr als nur einen Stilwechsel

Das EU-Parlament hat einen neuen Kommissionspräsidenten gewählt: Jean-Claude Juncker. Der erfahrene und langjährige Regierungschef des Großherzogtums Luxemburg (1995 wurde er bereits mit 41 Jahren Premierminister) ist ein bekennender Europäer. Als langjähriger Vorsitzender der Euro-Gruppe bringt er auch die notwendigen Erfahrungen mit, um ein so kompliziertes politisches Konstrukt wie die EU mit 28 Ländern ausgleichend zu führen und letztendlich auch für den dringend notwendigen Politik- und Stilwechsel in Brüssel zu sorgen.

Die Wahl zum Kommissionspräsidenten war mehrheitlich eindeutig. Nach der doch etwas unglücklichen Ära des Portugiesen José Manuel Barroso schließt sich jetzt mit dem neuen Kommissionspräsidenten auch historisch der Kreis. Denn Luxemburg und Luxemburger haben die europäische Geschichte entscheidend geprägt. Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts kam das Haus Luxemburg auf den Kaiserthron und spielte auf europäischer Ebene eine wichtige Rolle. Später trugen drei andere Mitglieder der Luxemburger Dynastie die Königs- und sogar die Kaiserkrone: Karl IV, Wenzel und Sigismund. Auch die Linie Habsburg-Lothringen hat in Europa Zeichen gesetzt. Im europäischen Kräftespiel nahm Luxemburg eine herausragende Rolle ein.

In der jungen Geschichte des Zusammenwachsens der europäischen Staaten zur EU, hat sich Juncker immer als ein glaubwürdiger und berechenbarer Partner ausgezeichnet. Insbesondere in der schwierigen Aufgabe als europäischer Moderator hat er über 20 Jahre lang für die wertorientierte Zukunft Europas gekämpft, notfalls auch temperamentvoll gestritten. Seit 2005 sogar noch zusätzlich als Vorsitzender der Eurogruppe. Insofern bringt der erfahrene Europäer Juncker alle Voraussetzungen mit, um als Kommissionspräsident die Europäische Union auf die richtigen Gleise zu bringen. Dies ist auch notwendig, denn Brüssel muss sich neuen Herausforderungen stellen und vor allem die Bürger mehr mitnehmen. Viele Menschen sind europamüde geworden, weil Brüssel zu zentralistisch zu viele Anliegen an sich zog. Bayerns langjähriger Ministerpräsident Edmund Stoiber hat jüngst in einem Interview mit einer Zeitung darauf hingewiesen, dass etwa kleinere und mittlere Fragen in der Region besser gelöst werden können als von Brüssel aus. Dies ist nur ein wichtiges Beispiel.

Grundsätzlich bejahen die Menschen die EU nicht nur als die großartige Idee der europäischen Integration – aber, und dies ist die Einschränkung, sie wollen auch ihre jeweilige regionale Identität, gewachsene kulturelle Werte, nicht opfern. Diesen Spagat – Europa ja, aber unter Wahrung der regionalen Eigenheiten – muss nun Juncker angehen. Er muss ein Auseinanderdriften verhindern, er muss einen Haushaltsausgleich finden zwischen dem deutschen Ansatz von mehr Reformen für eine nachhaltige Wachstumspolitik und dem Ansinnen der Franzosen und Italiener, die Wachstum mit auch kreditfinanzierten Investitionen generieren wollen. Juncker muss schließlich die durchaus berechtigten kritischen Ansätze Großbritanniens (und da nicht nur durch die Briten), etwa in der Zuwanderungs- bzw. Asylpolitik, sehen. Es hat keinen Sinn, immer mit dem Finger auf die vermeintlich aufbegehrenden Briten zu zeigen. Die Probleme, auf die sie hinweisen, sind nicht von der Hand zu weisen. Natürlich muss den betroffenen asylsuchenden Menschen durch die „reichen“ Europäer geholfen werden – schon vom christlichen Verständnis her. Aber helfen kann man nur, wenn die dafür notwendige Substanz längerfristig nicht zu stark strapaziert wird.

Die Zuwanderungs- und Asylpolitik kann daher mittelfristig nur europäisch gelöst werden. Natürlich kann aber auch die EU, ebenso wie Deutschland, nicht alle Probleme dieser Welt lösen. 50 Millionen Menschen befinden sich derzeit weltweit auf der Flucht. Auch United Kingdom sieht sich inzwischen mit Zuwanderungen überfordert. Darauf weist immer wieder Großbritanniens Premierminister Cameron hin. Es hat auch keinen Sinn, populistisch den Briten über vereinzelte Politiker und Medien nahezulegen, die EU zu verlassen, nur weil sie auf Strukturfehler der EU bei den neuen Herausforderungen hinweisen. Eine EU ohne das Vereinigte Königreich würde z.B. die verbleibenden Nettozahlerländer Deutschland und Frankreich vor große Herausforderungen stellen. In absoluten Zahlen ist aktuell Großbritannien nach Deutschland und Frankreich der mit Abstand größte Nettozahler (Saldo Zahlungen an die EU minus Zahlungen von der EU). Diese Zahlungen müssten bei einem britischen Austritt aus der EU kompensiert werden – von wem auch immer!

Juncker muss also neben einem Stil- auch einen Politikwechsel in der Finanz-, Struktur-, Zuwanderungs- und Asylpolitik einleiten. Es muss ihm gelingen, kritische EU-Mitglieder wie Großbritannien besser einzubinden. Eine EU ohne Großbritannien wäre der Anfang vom Ende einer großartigen Idee. Konkret geht es jetzt aber um Junckers angekündigtes Investitionsprogramm. Wie sein Vorhaben, einen Investitionspakt über 300 Milliarden Euro aufzulegen, in den Einzelheiten umgesetzt werden soll, will er in den nächsten fünf Monaten offenlegen. Wichtig wäre auch, an der „High Level Group“, die der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber führte, festzuhalten. Dabei geht es um die Reduzierung der zu starken bürokratischen Verkrustungen in der EU. Immerhin hat Stoiber eine Erfolgsbilanz vorzuweisen: 35 Milliarden Euro jährlich konnten allein durch den Bürokratieabbau eingespart werden. Die große Aufgabe wird aber vor allem sein, die aktuelle Verdrossenheit der Menschen in Europa wieder abzubauen. Dass diese in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ist nicht zu bestreiten und leicht abzulesen an den immer kleiner werden Beteiligungen der Bürger an den EU-Wahlen. Dies muss alles wieder besser werden. Zu beneiden ist Juncker also nicht. Wenn es aber jemand schafft, dann vielleicht in der Tat als Kommissionspräsident nur Juncker. Sein Vorgänger wirkte gelegentlich, insbesondere in den letzten Jahren, hilflos. Der Portugiese Barroso konnte zwar charmant lächeln, aber Lächeln allein genügt leider nicht. Vielleicht war Barroso zu gutgläubig.

Letzte Änderung am Mittwoch, 26 April 2017 13:04
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag