Union und SPD kamen nach den „Sondierungsgesprächen“ überein, am 23. Oktober 2013 in die Koalitionsverhandlungen einzusteigen. Doch nachdem zunächst ein flottes Tempo vorgelegt und sowohl atmosphärisch als auch in den Eckpunkten der Wille zur Großen Koalition erkennbar wurde, ist insbesondere nach dem SPD-Parteitag in Leipzig (14.-16.11.2013) offenbar Sand in das Getriebe gekommen. Die SPD, so scheint es, hat Angst vor der eigenen Courage und überspannt den Bogen.
Zunächst einmal ist es nicht gut, wenn kurz vor Toresschluss (am 27. November 2013 sollte nach dem ursprünglichen Fahrplan der Koalitionsvertrag stehen) immer neue Forderungen der Sozialdemokratie, die für die Genossen nicht verhandelbar seien, aufgetischt werden. Eine Koalition besteht aus Geben und Nehmen – aber sie darf vor allem das Wahlergebnis nicht übertünschen. Die SPD hat vom deutschen Volk für die 18. Wahlperiode – siehe Anzahl der Mandate – bei weitem nicht das Gewicht der Unionsparteien erhalten, und dieses Ergebnis muss sich auch bei der Regierungsbildung widerspiegeln. Es war zumindest gegenüber der Union ein unfreundlicher Akt, inmitten der Koalitionsverhandlungen sich für eine künftige rot-rot-grüne Gruppierung zu öffnen. Auch die von der SPD zum Dogma erhobene doppelte Staatsbürgerschaft hat die Unionsparteien zumindest erheblich irritiert. Der Gipfel war aber die von SPD-Chef Gabriel auf dem Leipziger Parteitag hinausposaunte Forderung, die Union müsse jetzt „liefern“. Liefern muss, wenn überhaupt, die SPD, denn noch ist es ja eine offene Frage, ob die „Basis der SPD“, die Mitgliederinnen und Mitglieder, überhaupt den Koalitionsvertrag akzeptieren.
Mitgliederbefragung oder Persilschein der SPD-Führung
Es war von vornherein ohnehin ein Risiko und ein Persilschein für die SPD-Führung, die Koalitionsverhandlungsergebnisse von einer Befragung der 470.000 SPD-Mitglieder abhängig zu machen. So stark ist die Sozialdemokratie nicht auf der Brust, als dass sie mit Kraftmeiereien auftrumpfen könnte – im Gegenteil. Bei einer Neuwahl, müsste sie mit weiteren Einbußen rechnen. Und auch die unterschwellige Drohung mit rot-rot-grün ist eher albern, weil dieses Projekt außenpolitisch nicht realistisch ist und im übrigen auch von einer nach wie vor strukturellen konservativen Mehrheit in Deutschland nicht mitgetragen würde (siehe auch Beitrag „Deutschland braucht eine stabile Regierung“). Hinzu kommt noch der konservative Flügel der SPD, der Annäherungen an „Die Linke“ ohnehin eher ablehnend sieht.
Die SPD darf insgesamt jetzt nicht den Bogen überspannen. Weder muss die Union „liefern“ – noch kann erwartet werden, dass die Kernaussagen der Unionsparteien aus dem Wahlkampf umgestülpt werden. Die SPD hat in den bisherigen Koalitionsverhandlungen bereits viel erreicht. Der Mindestlohn wird kommen und auch die Frauenquote in börsennotierten Unternehmen – so unsinnig ein derartiger dirigistischer Eingriff der Politik auch ist – wird wohl Bestandteil eines Koalitionsvertrages. Eine doppelte Staatsbürgerschaft hingegen ist nicht vermittelbar. Wer hier in Deutschland mit einem Migrationshintergrund lebt und arbeitet und sich zu unserem Land bekennt, braucht keine doppelte Staatsbürgerschaft, wenn er die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Wenn die SPD wegen dieser Frage den Koalitionsvertrag nicht unterschreiben will, dann wird es eben auch aus der Sicht der Union zu keiner Großen Koalition kommen. Die Union muss keine Neuwahlen fürchten.