Wie kam es, aus Sicht des CDU-Lagers, zur Katastrophe? Die Frage ist relativ leicht zu beantworten. Zwar hätte vermutlich gegen die äußerst populäre Hannelore Kraft jeder CDU-Kandidat verloren, aber mit Sicherheit nicht so deutlich. Norbert Röttgen war der falsche Kandidat zur falschen Zeit. Insofern ist auch die CDU in Nordrhein-Westfalen dafür verantwortlich, mit Röttgen einen Frontmann aufgestellt zu haben, der bei den Menschen an Rhein und Ruhr einfach nicht zu vermitteln war und ist.
Die Gründe sind schnell aufgezählt. Bei den bodenständigen Leuten in Nordrhein-Westfalen, insbesondere im immer noch bevölkerungsreichen Ruhrgebiet, ist Röttgen beim besten Willen nicht angekommen. Zu glatt wirkte und wirkt der Mann, zu karrierebewusst im Stile eines „Yuppie“. Dies war schon so, als er 2006 Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) werden und andererseits aber sein Mandat als Bundestagsabgeordneter nicht abgeben wollte. Röttgen wollte auch jetzt wieder erkennbar Everybody’s Darling sein und diese Schminke war zu plump aufgetragen. Da wollte er sich „grün“ anbiedern und vergraulte sogar das Unternehmerlager, insbesondere die Energiewirtschaft, in Nordrhein-Westfalen.
Dann, jetzt im vergangenen Wahlkampf, das unmögliche Taktieren mit einem Rückversicherungsschein nach Berlin, wenn die Wahl in Nordrhein-Westfalen verloren ginge (was ja jetzt erfolgt ist). Entweder man bekennt sich zu Land und Leuten – dann aber in aller Konsequenz auch als möglicher Oppositionsführer – oder man bewirbt sich erst überhaupt nicht. Röttgen war beim allerbesten Willen auch nicht der Typ eines Landesvaters. Dieses Bild hatte wenigstens Jürgen Rüttgers, vermutlich auf lange Zeit der letzte Ministerpräsident der CDU in NRW. Aus guten Gründen hatte der populäre Rüttgers auch die Etikette „Arbeiterführer“. Aber auch Rüttgers hatte die politische Verantwortung der CDU in NRW nach der Landtagswahl 2010 „vergeigt“, weil er nicht bereit war, in einer großen Koalition den Vortritt von Hannelore Kraft zu akzeptieren. Eine Minderheitenregierung mit den Grünen unter Führung von Kraft war die Folge – doch dies ist jetzt Vergangenheit.
Hannelore Kraft ist jetzt die strahlende Siegerin und erinnert an die populären Zeiten eines Johannes Rau (die „Zähnchen von den Kindern tun so weh“, so entschuldigte sich dieser schon einmal, wenn er zu Wahlterminen zu spät kam), der einmal 52,1% aller Wählerstimmen in NRW erreichte. Es ist kein Zufall, dass jetzt sehr viele CDU-Wähler gerade Hannelore Kraft wählten. Die Frau verkörpert Anständigkeit und das Wählerpotenzial einer breiten Mitte. Sie ist in der Wahrnehmung durch die Menschen die typische Landesmutter. Völlig konträr zu Norbert Röttgen erhielt Kraft auch viel Zustimmung von der Wirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
Nordrhein-Westfalen ist das Energieland Nr. 1 in Deutschland. Hier sind die großen Kraftwerke u.a. von RWE, Eon und der Steag. Die großen Konzernzentralen der genannten Energieunternehmen einschließlich Eon-Ruhrgas sind im Lande. Energieintensive Unternehmen wie ThyssenKrupp produzieren dort. Deshalb kommt es auf eine gute realistische und ideologiefreie Energiepolitik mit gesicherter und bezahlbarer Energie ganz entschieden an. Noch auf dem Steinkohlentag 2011 hat Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin ganz klar verdeutlicht, dass gerade in Zeiten der Energiewende die bezahlbare Energie für Industrie und Verbraucher wichtig ist.
Fossile Energieträger, Stein- und Braunkohle sowie Gas, müssten noch eine längere Zeit eine wichtige Rolle im Energiemix spielen, sagte sie. Die „alte“ und neue Ministerpräsidentin kann sich jetzt auf eine starke SPD-Fraktion im Landtag stützen. Bei aller Freundschaft zu den Grünen hat die Sozialdemokratie jetzt im Düsseldorfer Landtag, sollten die Grünen energiepolitisch übermütig werden, jederzeit noch eine andere Option, etwa mit der FDP, die sich jetzt sogar noch auf 8,6 % verbessern konnte. Erfreulich auch, dass die Linke in NRW von der populären Hannelore Kraft neutralisiert wurde. Sie hat jetzt alle Trümpfe – im Landtag und in der SPD insgesamt, einschließlich der Bundespartei.