Gründe lassen sich immer finden. Einmal ist es der Naturschutz, dann wieder der Lebensraum von Bibern und Vögeln, notfalls wird das Weltkulturerbe der Unesco herangezogen und vor allem muss der Klimaschutz, den wir ja alle wollen, für alles Mögliche und Unmögliche herhalten. Mit dem Schüren von Angst, etwa gegenüber der Kernenergie, hat sich eine ideologische Richtung etabliert, die längst kulthafte Züge angenommen hat. Selbsternannte Fachleute maßen sich wesentlich mehr Kompetenz an als die wirklichen Fachleute. Im Verbund mit einer gelungenen Unterwanderung unserer Schulen und einer bestimmten „veröffentlichten“ Meinung gelingt es leider immer wieder, auch mit Schlagworten, besorgte Stimmen und Mahner mundtot zu machen.
Ein Beispiel dafür war die Reaktion von Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, auf den energiepolitischen Appell besorgter Bürger und Unternehmer in Form einer Zeitungsanzeige vom 21. August 2010. Schnell war der Appell eine Aktion der „Atomlobby“, obwohl die große Mehrheit der Unterzeichner keineswegs Repräsentanten der Energiewirtschaft sind, etwa Oliver Bierhoff, der Publizist Manfred Bissinger oder Prof. Dr. med. Wolff Schmiegel von der Ruhr-Universität Bochum. Aber notfalls sind derartige Unterzeichner aus der Sicht der Ideologen eben bezahlte „Knechte der Atomwirtschaft“. So einfach macht man dies.
Dass Renate Künast den Deutschen auch schon empfahl, japanische Autos zu kaufen, will sie heute nicht mehr hören, nachdem in einer beispiellosen Hysterie die deutschen Automobilfabriken der umweltfeindlichen „Stinkerei“ bezichtigt wurden. Erst als dann die Auto-Fabrikarbeiter auf der Straße standen, erkannten die Grünen ihren Blödsinn, genauso wie seinerzeit, als sie fünf D-Mark für einen Liter Benzin forderten und dann merkten, dass dies die Wähler dann doch nicht mitmachen.
Energiepolitische Glaubenskriege
Gesicherte und bezahlbare Energie ist eine Schlüsselvoraussetzung für eine prosperierende Volkswirtschaft, für Arbeitsplätze und Wohlstand. Niemand will den Erneuerbaren ihre Berechtigung absprechen – im Gegenteil. Aber es wird nie so sein, dass wir nur mit Erneuerbaren unsere Energieversorgung sichern können. Wer dies behauptet, versteht entweder von einer Energieversorgung nichts oder aber betreibt wissentlich Scharlatanerie. Alle wirklichen Fachleute im In- und Ausland sind sich einig, dass ein gewisses Potenzial außerhalb der Erneuerbaren immer notwendig sein wird und vor diesem Hintergrund wäre es unverantwortlich, gleichzeitig aus der Kernkraft und der Kohleverstromung auszusteigen. Warum wird aus der Ecke interessierter Kreise in Deutschland dennoch das Gegenteil behauptet? Eine einfache Frage nur: Sind die Deutschen einfach intelligenter als der Rest der Welt? Eine derartige Behauptung wäre vermessen.
Dass in Deutschland die Energiediskussion längst scheinheilig ist, lässt sich am Beispiel der regenerativen Wasserkraft ableiten, die ja auch leidenschaftlich bekämpft wird. Viele wollen in Deutschland einer einfachen Tatsache nicht ins Auge sehen, nämlich der, dass immer mehr Menschen die Erde bevölkern und entsprechend Energie benötigen. Wie das Magazin BIO in seiner Ausgabe vom August/September 2010 völlig zurecht darstellt, verbraucht eine einzige Kuh jährlich genauso viel CO 2 wie ein PKW, der 24.000 km fährt (bei einem CO 2-Ausstoß von 130 g/km). Nun könnte man natürlich auf Milch, Butter und Rindfleisch verzichten … Man könnte auch auf Kartoffeln verzichten, denn ein Kilo produziert ebenfalls zwischen 140 und 200 Gramm CO 2. Die Bandbreite beruht auf einem konventionellen oder ökologischen Anbau.
Modernste Kohlekraftwerke haben durch verbesserte Wirkungsgrade eine umweltfreundliche Effizienz, d.h. sie verbrauchen pro produzierte Kilowattstunde Strom wesentlich weniger Kohle als Brennstoff und schonen damit das Klima. Und dennoch wurde der Bau eines umweltfreundlichen Kohlekraftwerkes, nämlich Datteln 4, inzwischen eingestellt, obwohl bereits gut 900 Millionen Euro verbaut worden sind. Das letzte Wort werden wohl die Gerichte haben. Wir leben in Deutschland in einer merkwürdigen Zeit und Gesellschaft.
Vor wenigen Wochen wurde beim Oder-Hochwasser wieder Kritik geübt. Wahr ist auch, wie der „Spiegel“ berichtete, dass einige Abschnitte nicht saniert werden konnten, weil zahlreiche Einwendungen der Anwohner einen wirkungsvollen Dammschutz verhinderten. Naturschützer sorgten sich um den Lebensraum von Bibern.
In Nordhessen verteuerte zu Lasten des Steuerzahlers ein Tunnelbau (siehe hier auf Seite 2) eine Straßenbaumaßnahme um 50 Mio. Euro, nur um Kammmolche zu schützen. Dies mag alles liebenswert sein – wenn man es nicht selbst bezahlen muss …
Chancen durch Stuttgart 21
Eine der größten deutschen Infrastrukturmaßnahmen stellt der jetzt angelaufene Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofes zum Durchgangsbahnhof im Rahmen der Erweiterung der Schnellbahnstrecke Mannheim-Stuttgart nach Ulm dar. Obwohl das Projekt jahrelang in der Diskussion war und alle kommunalpolitischen Instanzen – auch im Stuttgarter Gemeinderat – demokratisch und mehrheitlich durchlief, wird das Projekt bekämpft. Völlig verkannt wird, dass durch die Verlegung des Bahnhofs unter die Erde eine Fläche von 1.000.000 qm inmitten der Stuttgarter Innenstadt frei wird mit allen Möglichkeiten der städtebaulichen Entwicklung. Dies ist eine einmalige Chance der Landeshauptstadt Stuttgart, die Monostruktur einer autolastigen Industriestadt zu lockern. Völlig neue Unternehmen aus den Bereichen Beratung, Consulting, Finanz- und Versicherungswirtschaft, Medien, Gesundheit und Hotelwirtschaft könnten angeworben werden. Die deutschen Städte stehen untereinander in einem starken Wettbewerb und wenn sich Stuttgart längerfristig behaupten will, braucht sie die mit dem Projekt Stuttgart 21 verbundenen Flächen. Aber auch diese einmalige Chance der Strukturpolitik soll verhindert werden. Man stelle sich einmal vor, die Bürger der Stadt New York wären beim Bau des unterirdischen Central-Bahnhofes inmitten von Manhattan so verblendet gewesen!
Deutschland braucht eine neue Kultur der Akzeptanz. Wenn wir dies nicht schaffen – vor allem in den entscheidenden Bereichen der Infrastruktur und Städteentwicklung – werden wir im weltweiten Standortwettbewerb verlieren, mit dem damit verbundenen Verlust von Arbeitsplätzen. Dies kann eigentlich niemand wollen.