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Christian Wulff ist neuer Bundespräsident:

Christian Wulff ist neuer Bundespräsident: www.christianwulff.de

Blamables Geschachere im Umfeld der Wahl

Im dritten Wahlgang hat es dann sogar eindrucksvoll geklappt: Mit 625 Stimmen erhielt Christian Wulff sogar eine absolute Mehrheit. Doch das gestrige Procedere um die Wahl war alles andere als eine Sternstunde der Demokratie und völlig zu Recht schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“ in ihrem Kommentar von einem Wahltheater. Es war schlimmer! Es war ein Geschachere um die Frage, wie könnte man die Wahldelegierten der Linken doch noch dazu bewegen, ihre Stimme dem braven Joachim Gauck zu geben.

Das Regierungslager um Unionsparteien und FDP hat sich gestern nicht mit Ruhm bekleckert. Da haben einige patriotische Verantwortung mit der Möglichkeit einer politischen Abrechnung mit der Kanzlerin verwechselt. Die schwarz-gelbe Koalition stand nach dem ersten und zweiten Wahlgang am Abgrund und bei einer dann fällig gewesenen neuen Bundestagswahl hätte es vermutlich sehr lange Gesichter innerhalb der Parteien der Union und der FDP gegeben. Es ging nämlich gestern keineswegs „nur“ um die Wahl des neuen Bundespräsidenten. Deshalb war es schlicht einfach politisch dumm, wenn immerhin 44 Mitglieder der Bundesversammlung (dem Regierungslager schwarz-gelb zuzuordnen) im 1.Wahlgang Christian Wulff ihre Stimme nicht gaben. Aber auch die SPD, allen voran Sigmar Gabriel, hat bei denkenden Beobachtern ein geradezu armseliges Verhalten offengelegt. Sozialdemokratie und Grüne wollten nämlich sehr wohl mit der Linkspartei den Kandidaten Gauck durchdrücken, nachdem diese ihre Kandidatin im 3. Wahlgang zurückzog. Das Ansinnen mag legitim gewesen sein, aber dann darf Sigmar Gabriel später nicht sagen, Wulff sei nur durch die Hilfe der Linkspartei gewählt worden. Erstens stimmt dies nicht und zweitens gibt er ja damit zu, dass es der Sozialdemokratie ins Kalkül gepasst hätte, wenn die Linkspartei Gauck gewählt hätte. Auch das unschöne stundenlange Gezetere hinter den Kulissen, am Wahltag, mit zum Teil unwürdigen Statements (Gysi), hat draußen beim Bürger einen denkbar schlechten Eindruck hinterlassen. Wenn die Frage, weshalb es bei den Bürgern so eine große Politikverdrossenheit gibt, offen ist, dann wurde sie gestern in Reinkultur beantwortet!

Warum lässt man in Deutschland den so oft beschworenen „mündigen Bürger“ den Bundespräsidenten nicht direkt wählen? Die kleinen Nachbarländer Österreich und Tschechien machen es uns vor, Frankreich ohnehin. Wir sind schon als Bürger reif genug, einen Bundespräsidenten zu wählen. Vielleicht wäre sogar Joachim Gauck gewählt worden. Wir wissen es nicht.

Aber auch die Medien haben sich erneut ihrer Verantwortung nicht gewachsen erwiesen. In einer veröffentlichten Meinung wurde Joachim Gauck zum neuen Messias gekürt. Man erinnert sich an die Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten, als im Vorfeld der Wahl Barack Obama geradezu hysterisch in deutschen Medien als Wundermann gefeiert wurde. Es ist um Obama erstaunlich still geworden. Joachim Gauck ist – keine Frage – ein sogar sehr honoriger Mann, aber er wurde medial geradezu übertrieben bereits im Vorfeld gefeiert und wenn es alle sagen, na ja, dann glauben es halt auch die Leute. Als Bundespräsident Köhler resignierte und zurücktrat, schrieben viele Medien, er sei als „Nichtpolitiker“ dem verminten Gelände der Politik nicht gewachsen gewesen. Es ist jetzt Kaffeesatzleserei, zu erörtern, wer wohl der bessere Bundespräsident sei, der gewählte Wulff oder der unterlegene Gauck. Der neue Bundespräsident heißt Wulff und ab sofort wird er dieses höchste deutsche Amt ausfüllen und wir sind davon überzeugt, dass er es gut machen wird.

Der neue Bundespräsident hat eine hohe Verantwortung und keineswegs (auch so ein Unsinn veröffentlichter Meinungen) „nur die Macht des Wortes“. Gesetze etwa werden erst dann rechtswirksam, wenn der Bundespräsident sie nach Prüfung unterschreibt und somit ausfertigt. Dabei ist der Bundespräsident keineswegs „nur der höchste Notar“. Wiederholt haben unsere Staatsoberhäupter durch die Unterschriftenverweigerung Gesetze verhindert. Ein sehr prominentes Beispiel war übrigens die (richtige) Verhinderung des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung im Jahre 2006 durch Bundespräsident Horst Köhler. Köhler hat damals die Privatisierung der bundeseigenen Deutschen Flugsicherung DFS gestoppt, weil er in dem Vorhaben eine verfassungswidrige Angelegenheit sah.

Viele Insider munkeln auch, dass Köhler nur deshalb zurücktrat, weil er sich in der dramatischen Eile der Gesetze der Griechenland- bzw. EU-Hilfe vor allem zeitlich überrumpelt sah. Man hat die Bilder vor Augen, als „reitende Boten“ (per Auto natürlich), die Gesetze im Eiltempo vom Bundestag zum Bundesrat brachten und anschließend dem Bundespräsidenten vorlegten.

Der Bundespräsident ist nicht der Lakai der jeweiligen Bundesregierung. Neben einer seiner Aufgaben, der Gegenzeichnung oder eben Nichtgegenzeichnung der Gesetze, ist er eine Autorität und kann ganz im Gegenteil Denkanstöße für einen Handlungsbedarf der Regierung auf den Weg bringen. Die ungemein wichtige Aufgabe des Zusammenführens gesellschaftlicher Gruppen – etwa Gewerkschaften, Unternehmerverbände, kirchlicher Instanzen und auch der Verantwortlichen der Medien – gibt dem Bundespräsidenten weitere große Möglichkeiten des Einflusses und Einbringens in die Politik. Insofern hat Altbundespräsident Horst Köhler durch seinen Rücktritt ein wichtiges Zeichen gesetzt. Wenn so etwas noch einmal passiert, werden die Bürger(innen) Fragen an die Tagespolitik, sprich jeweilige Bundesregierung, stellen. Allein die Möglichkeit des Rücktrittes eines Bundespräsidenten – dies ist jetzt im Vor- und Umfeld der Bundespräsidenten-Wahl allen klar geworden – kann jede Bundesregierung stürzen.

 

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag