Es gab einmal Zeiten, in denen man noch Respekt (dies hat nichts mit einem Untertanengeist zu tun) vor „unserem Herrn Bundespräsidenten“ hatte; er war eine Autorität als Amtsträger. Darüber hinaus stand er über dem Parteiengezänk. Freilich hieß dies auch damals nicht, dass der Bundespräsident unter Denkmalschutz stand. Aber für die Kritik galten (und dies sollte auch heute noch so sein) bestimmte Formen – schon deshalb, um das Ansehen des obersten Repräsentanten unseres Landes auch im Ausland nicht zu beschädigen. Aber in einer Zeit, in der die guten Grundwerte immer mehr verkommen, in der die sittlichen Normen verloren gehen und in der die Medien aus reiner Sensationsgier oft pervertiert Grenzfelder überschreiten, kann man auch, so meinen einige, den Bundespräsidenten beleidigen. Unser bisheriger Bundespräsident hieß Horst Köhler und eben nicht Horst Lübke, wie der „Spiegel“ schrieb. Was soll das übrigens? Da wird im Magazin der Bundespräsident in einem schnoddrigen Ton sozusagen als der Depp der Nation hingestellt, von seiner Tapsigkeit ist die Rede und dass er noch nicht einmal „unfallfrei reden kann“. Dieser Medienstil ist ein Journalismus, der einfach nur noch primitiv an niedrige Instinkte appelliert. Selbstredend waren einige Aussagen des Herrn Bundespräsidenten bedenklich, etwa die Benzinpreise, die ihm viel zu „billig“ waren. Wir haben nun einmal in unserem Volk viele Mitbürger, die aber mit jedem „Pfennig“ (Cent) rechnen müssen. Und natürlich waren die Afghanistan-Aussagen des ehemaligen Staatsoberhauptes zumindest erklärungsbedürftig. Aber genau dies hat er doch gemacht. Niemand hat etwas dagegen, wenn man mit Aussagen des Bundespräsidenten nicht einverstanden ist – aber Kritik dem Amt gegenüber muss in gewissen Formen ablaufen und darf nie den Stil der auch persönlichen Beleidigung annehmen. Genau diese Tendenz transportierte aber der Beitrag „Horst Lübke“. Unsere Medien, und auch deshalb werden sie immer weniger glaubwürdig, verkommen immer mehr. Am 7.11.2008 beleidigte das SZ-Magazin den noch amtierenden amerikanischen Präsidenten Bush mit den Worten „tapsiger Clown“ und hat dabei vergessen, dass die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter nach § 103 StGB in der Bundesrepublik Deutschland unter Strafe gestellt ist. Man fragt sich, was die Bemerkung „tapsiger Clown“ soll. Es gab tausend Gründe den amerikanischen Präsidenten zu kritisieren – musste dies aber persönlich sein?
Bundespräsident Horst Köhler war keineswegs ein schwacher Bundespräsident. Ganz im Gegenteil begriff er sich eben nicht als Vollzugsbeamter der Bundesregierung und des Parlamentes, der Gesetze zu unterschreiben hat. Dies tat er auch nicht immer und dies war neu! Der Mann hatte hohe Funktionen beim IWF in Washington. Es wäre gut, wenn in unserer derzeitigen kritischen Situation jeder soviel von Währungszusammenhängen verstünde wie er.
Nun hat er aber – und jetzt kommen wir zur zweiten eingangs aufgeworfenen Frage – resigniert und ist zurückgetreten. Darf er das? Freilich darf er das und trotzdem war seine Entscheidung wohl eine Kurzschlusshandlung. Er hätte kämpfen müssen und etwa den zuständigen Chefredakteur des Magazins, in dem der Artikel „Horst Lübke“ publiziert war, einbestellen müssen. Er hätte ihm gehörig seine Meinung erläutern und bei Uneinsichtigkeit von seinem Rederecht in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten Gebrauch machen müssen. Das Magazin, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr viele Anzeigen verloren hätte, wäre wohl so schnell nicht mehr auf die Idee der Beleidigung des Staatsoberhauptes gekommen. Ganz abgesehen davon, dass sich die Bürger mit dem Bundespräsidenten solidarisch erklärt hätten. Das ist jetzt zu spät.
Was der Bundespräsident jetzt mit dem Rücktritt gemacht hat – und jetzt kritisieren wir – ist zu verurteilen. Er hat in einer kritischen Situation, in der kurz vorher auch der Ministerpräsident des Landes Hessen zurücktrat, ein denkbar schlechtes Signal als Staatsoberhaupt gesetzt. Ein Bundespräsident ist schon etwas anderes als ein Ministerpräsident. Die Menschen, auch die, die ihn mochten, fühlen sich jetzt vom Bundespräsidenten verlassen und verraten. Wenn schon das Staatsoberhaupt zurücktritt, wie muss es da um das Land bestellt sein – dies ist die Meinung draußen im Volk. Kurt Waldheim, ehemaliger österreichischer Bundespräsident, bekam in seiner gesamten Amtszeit „Sperrfeuer“, obwohl er als vorheriger UN-Generalsekretär auf politische Sauberkeit „gebrieft“ wurde. Man warf ihm eine gewisse Nazi-Nähe vor, obwohl der junge Waldheim schon vom Alter her im Dritten Reich keinen nennenswerten Einfluss haben konnte. Da gab es ganz andere schlimme Mitläufer, auch bei uns in Deutschland, die später als Wendehälse in den Nachkriegsjahren wieder hohe Funktionen einnahmen. Waldheim war von einem anderen Holz geschnitzt. Er stand die zum Teil sehr bösartigen Attacken durch. Köhler hingegen konnte offenbar nicht kämpfen und trat jetzt zurück. Köhler wird wohl in die Geschichte als tragische Figur eingehen und dies ist sehr schade, denn der Mann war nicht nur beliebt, er hat sein Amt nicht als „Unterschriftsautomaten“ verstanden.