Dennoch löste die Verschiebung offensichtlich einen temporären Kurssturz um etwa ein Fünftel der SAP-Börsenkapitalisierung aus. Zunächst ist vielleicht der Hinweis hilfreich, dass Aktienkurse Momentaufnahmen sind; wer als Anleger seine Aktien nicht verkauft, verliert überhaupt nichts. Die spektakulär in den Medien kommentierten „Wertverluste“ bei der SAP bestehen insofern nur auf dem Papier. Vor allem spiegeln tagesaktuelle Aktienkurse eines Unternehmens oft den realen Wert, insbesondere bei der SAP, nicht wider. Der führende Softwarekonzern SAP ist und bleibt, vermutlich mit großer Gewissheit auch in Zukunft, ein Schwergewicht. Diese Einschätzung wird durch die lediglich angepasste mittelfristige Ergebnisprognose für 2025 keineswegs geschmälert.
Beim jährlichen von der international tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC veröffentlichten „Global Top-100“ Ranking, eine Liste der wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt (Stichtag der Erhebung war der 31. März 2020), wurde wiederum die SAP als einziges deutsches Unternehmen aufgenommen. Zwar verlor die SAP im Ranking 2020 gegenüber 2019 leicht im Wert der Marktkapitalisierung, konnte sich aber sogar um acht Plätze gegenüber dem Vorjahr verbessern, weil andere Unternehmen in ihrer Kapitalisierung mehr verloren. Zwar ist das „Schielen“ auf andere Unternehmen – vor allem wenn es branchenfremde Gesellschaften sind – wenig zielführend, dennoch ist der Vergleich der Börsenkapitalisierung – Stichtag 12.11.2020 – mit anderen DAX-Unternehmen interessant:
- SAP 119,753 Milliarden Euro
- BASF 51,830 Milliarden Euro
- Deutsche Bank 18,458 Milliarden Euro
- Daimler 56,691 Milliarden Euro
Die SAP befindet sich auch im DAX-Vergleich in einer sehr guten Position. Im vergangenen Geschäftsjahr 2019 erzielte die SAP bei einem Umsatz von 27,553 Milliarden ein operatives Ergebnis von 5,584 Milliarden und ein Vorsteuerergebnis von 4,595 Milliarden. Für das aktuell laufende Geschäftsjahr 2020 prognostiziert (Stand 26. Oktober 2020) der SAP-Konzern weltweit einen Umsatz von ca. 27,2 bis 27,8 Milliarden und einen Betriebsgewinn in Höhe zwischen 8,1 bis 8,5 Milliarden. Selbst im bisherigen Jahresverlauf 2020 hat in einem auch für die SAP schwierig gewordenen Umfeld der Pandemie, das Walldorfer Software Unternehmen bei einem Umsatz (Januar bis September) von 19,8 Milliarden Euro ein Betriebsergebnis von 3,967 und ein Nachsteuerergebnis von 3,348 Milliarden erzielt (alle Zahlen in Euro). Dies ist unter Berücksichtigung der von der SAP nicht beeinflussbaren Begleitumstände, Stichwort Auswirkungen Corona, immer noch ein respektables Resultat – ein Ergebnis, von dem viele Unternehmen nur träumen können.
Insofern kann von einem „Schock“ wegen der Streckung der Ergebnisentwicklung – nochmals sei erwähnt von einem ohnehin hohen Niveau – bei einer realistischen Betrachtung keine Rede sein. Man könnte es auch anders formulieren: Die Börse und die Märkte haben bei der Bekanntgabe der neuen SAP-Prognosen völlig überzogen reagiert. Nach wie vor ist die SAP ein robustes Unternehmen mit hervorragenden Perspektiven auf der Basis von derzeit weltweit 440.000 Kunden für SAP-Produkte.
Transformation Cloud
Allerdings befindet sich die SAP inmitten einer Transformation. Deren Stichwort heiß Cloud, eine Technologie, die SAP-Vorstandssprecher Christian Klein noch schneller positionieren wird. Bei der Cloud handelt es sich noch nicht einmal um ein grundlegend neues Software-Produkt; es beschreibt eine Software, die Anwender respektive Kunden über das Internet (und dies ist das wesentliche Kriterium) per Miete nutzen können. Dafür ist ein erheblicher und sehr kostenintensiver Ausbau der Speicherkapazitäten sowie die notwendige Umrüstung der SAP-Rechenzentren notwendig.
Der beschleunigte Umstieg sichere der SAP die Entwicklung „als Cloud-Wachstumsunternehmen“, so SAP-Finanzvorstand Luka Mucic. Die Kunden wollen oder sollten coronabedingt schnell in die Cloud-Technologie umsteigen, um einerseits flexibler reagieren zu können und andererseits widerstandsfähiger zu werden. Die SAP beschleunigt die Modernisierung ihres Cloudbetriebs mit einer weiteren Verbesserung der dafür notwendigen Infrastruktur, um früher als geplant die Bereitstellung der Cloudlösungen zu erreichen. Dabei setzen die Walldorfer auf ihr globales einmaliges Knowhow in 25 Branchen. Mit der Transformation wird die SAP ihre Effizienz und Stabilität deutlich steigern.
Die Transformation respektive die Forcierung des Umstiegs in die Cloud, wird die Umsatzstruktur der SAP in naher Zukunft deutlich verändern. Die konventionellen Software-Lizenzumsätze werden – verglichen mit dem aktuellen Niveau – rückläufig. Die Clouderlöse werden hingegen erheblich zunehmen. Ab 2023 erwartet die SAP ein beschleunigtes Wachstum, getrieben durch die Cloud, mit zum Teil zweistelligen Wachstumsraten beim Gesamtumsatz. Bei den neuen für 2025 prognostizierten (aktuell auf der Basis 25. Oktober 2020) Zahlen, erwartet die SAP einen Umsatz von ca. 36 Milliarden Euro. Davon sollen dann fast Zweidrittel, nämlich 22 Milliarden Euro, auf die Cloud entfallen. SAP-Chef Christian Klein hat im Umfeld der Hauptversammlung im Mai 2020 betont, dass der Cloud-Umstieg der SAP-Kunden, verbunden mit einer Neuausrichtung des Geschäfts, unerlässlich wird. Diese Notwendigkeit sei die Voraussetzung, damit die Unternehmen gestärkt aus der coronabedingten Krise kommen. „Gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern werden wir Innovationen entwickeln und Unternehmen neue Möglichkeiten für die Abwicklung von Geschäftsprozessen in einer digitalisierten Welt bieten“, so Klein in einem Statement.
Mehr Harmonisierung
Das Thema Cloud hat freilich auch Kulturunterschiede offengelegt. In der Ära Bill McDermott hat die SAP Firmen in den USA erworben, um das Wachstum mit der Cloud-Strategie zu beschleunigen. Im Prinzip war dies richtig, doch für den SAP-Mitgründer und Aufsichtsratsvorsitzenden Hasso Plattner wurde eine notwendige klare Gesamtstrategie, zusammen mit den erworbenen neuen Töchtern, nicht optimal umgesetzt. Während McDermott den zugekauften Firmen sehr viele Freiräume mit einer großen Eigenverantwortlichkeit zugestand, litt darunter insbesondere, nicht nur in der Einschätzung der deutschen Traditionalisten, die Integration im Gesamtkonzern SAP. McDermott setzte mit den Zukäufen zu stark auf Wachstum, ohne zu berücksichtigen, dass zahlreiche neue Produkte aus dem Kreis der zugekaufen Firmen zu einer gewissen Unübersichtlichkeit beitrugen. Dies wiederum führte zu einer teilweisen berechtigten Verärgerung der Kunden. Diese Defizite wird die SAP unter Christian Klein jetzt korrigieren. Plattner kritisierte daher zurecht die in der Schlussphase der Ära McDermott zu registrierende fehlende Harmonisierung der erworbenen neuen Firmen mit dem SAP-Headquarter in Walldorf. Im Grunde entwickelten sich zwei Philosophien in der SAP, eine deutsche und eine amerikanische. Konkret meinte der Aufsichtsratsvorsitzende die Implementierung in der Cloud, denn dort müsse die Harmonisierung stattfinden, eine Aufgabe, die jetzt Christian Klein, wie er auf der Hauptversammlung im Mai 2020 ankündigte, tatkräftig umsetzt. Plattner sprach offen an, was viele Analysten und Kommentatoren nicht wahrhaben wollen: es gibt erhebliche Kulturunterschiede in der Denke und Mentalität deutscher und amerikanischer Topmanager. Plattner hat betont, dass für ihn immer der Kunde im Mittelpunkt stand und steht und erst dann der Wettbewerb. Bei McDermott war es zumindest zunehmend umgekehrt – die Kundenzufriedenheit litt durch die zu forsche Wachstumsstrategie. Klein nimmt die Zufriedenheit der Kunden wieder stärker in die Optik.
Die SAP, längst erfolgreicher Weltplayer, war immer auch ein Unternehmen, das durch die enge Bindung in der Rhein-Neckar-Metropolregion geprägt wurde. Dies kam insbesondere durch die Bodenständigkeit ihrer Gründer, die alle bei der IBM Mannheim ihre berufliche Karriere begannen, zum Ausdruck. Mannheim wurde zur Keimzelle der SAP, dort entstand die Idee der Gründer, eine Firma zu etablieren, die zu einer einmaligen Erfolgsstory wurde. Die regionale Bodenständigkeit gilt insbesondere für SAP-Mitgründer Dietmar Hopp, der sich der Metropolregion Rhein-Neckar als Hoffenheimer (Stadtteil von Sinsheim) in besonderer Weise verbunden fühlt. Von Hoffenheim (Hopp wuchs dort auf) sind es gerade einmal 22 Kilometer nach Walldorf in der Nähe der Städte Mannheim und Heidelberg. Es ist somit schließlich kein Zufall, dass die SAP-Unternehmenszentrale in Walldorf angesiedelt wurde. Ein gewisser „Stallgeruch“ ist nach wie vor im guten Sinne bei der SAP erkennbar. Dies haben Amerikaner in Führungspositionen im Unternehmen und in den erworbenen neuen Tochtergesellschaften nicht immer verstanden. Auch Hasso Plattner fühlt sich der nordbadischen Region verbunden, nicht nur aufgrund seiner Tätigkeit bei der Mannheimer IBM. Auch das Studium an der Uni Karlsruhe, der berühmten traditionsreichen „Fridericiana“, heute leider sperrig Karlsruher Institut für Technologie genannt (ebenfalls in der Nähe von Walldorf), prägte den heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden der SAP. Plattner und Hopp sind immer noch die größten Einzelaktionäre der SAP. Es ist daher nur normal, dass bei den beiden SAP-Urgesteinen, die ganz entschieden die großartige Entwicklung der SAP prägten, viel „Herzblut“ für das Unternehmen vorhanden ist.
Stallgeruch hat auch Christian Klein als CEO der SAP. Er hat die Zuneigung sowohl vom derzeitigen Aufsichtsratsvorsitzenden Plattner als auch von dem im Hintergrund wirkenden Dietmar Hopp. Christian Klein stammt wie Hopp aus dem Kraichgau im Rhein-Neckar Kreis. Der 1980 geborene Topmanager ist seit 1999 – damals zunächst noch als Student – bei der SAP. Er kennt als Eigengewächs Mentalität, Land und Leute in und um die SAP. Dies ist bei der SAP wichtig, den Bodenständigkeit und globaler Auftritt schließen sich keineswegs aus. Christian Klein hat nur folgerichtig seine Ausführungen auf der Hauptversammlung zum Beispiel wieder in deutscher Sprache gehalten – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aufsichtsratschef Hasso Plattner und Christian Klein wollen jetzt mit der Cloud eine weitere und neue Erfolgsstory bei der SAP begleiten.
Hasso Plattner ist als Aufsichtsratsvorsitzender keineswegs amtsmüde. Dies ist für die SAP gut. Im Mai 2020 kritisierte in der FAZ ein Kommentator Plattner fast schon unanständig als alten „Grantler“. Dabei spielte er auf die Trennung von den ehemaligen Topmanager(innen) Bill McDermott und Jennifer Morgan an. Doch auch Kommentatoren wissen nicht alles. Die SAP braucht im Gegensatz zur FAZ-Kommentarmeinung keineswegs einen neuen „Chefaufseher“ – schon gar nicht mit mehr Ratio und weniger Herzblut. Ganz im Gegenteil. Kunden müssen immer den höchsten Stellenwert haben – sonst nützt eine einseitige Wachstumsstrategie auf Sicht nicht viel. Und nur so ganz nebenbei: wenn jemand „Ratio“ (schlicht Vernunft und Kundengespür) besitzt, dann Plattner, der ein ausgeprägtes Gespür für neue Entwicklungen hat. Die SAP wird weiterhin ihren erfolgreichen Weg gehen – mit Herzblut und Stallgeruch. Dafür steht das SAP-Urgestein Plattner mit seinem Zögling Christian Klein.