Inzwischen wurde Deutschland mit Ausgangsbeschränkungen lahmgelegt: Geschlossene Geschäfte und Hotels, Cafés und Restaurants, weitgehend menschenleere Einkaufsstraßen, zugesperrte Theater, Opernhäuser und Kinos, keine Open Air Highlights und Sportveranstaltungen, geschlossene Schulen und Kitas. Ostergottesdienste werden in leeren Kirchen zelebriert. Schließlich wurde die industrielle Produktion weitgehend – von systemrelevanten Branchen wie Ernährung, Hygiene, Medizintechnik abgesehen – zurückgefahren. In zahlreichen Fabriken der Automobilindustrie und deren Zulieferer ruhen die Bänder. Selbst die Bauwirtschaft ist teilweise betroffen, weil Zulieferungen, wie italienischer Baustahl, auf großen deutschen Baustellen der Infrastruktur nicht mehr ankommen. Auf Flughäfen herrscht gähnende Leere. Deutschland befindet sich im Shutdown. Wie lange hält diese Entwicklung die deutsche Volkswirtschaft aus? Die Politik steckt in einem Dilemma. Sie muss sich, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder so treffend sagte, auf medizinische Sachverständige verlassen. Diese sind aber gespalten. Viele Wissenschaftler (dies gilt auch für internationale „Größen“ der Virologie) dramatisieren, andere wiederum neigen eher zu einer entspannten Sicht. Wer hat recht?
Spuren beim Mittelstand
Corona zeigt insbesondere beim Mittelstand Spuren. Neun von zehn deutschen Firmen sind mittelständisch aufgestellt: Handwerker, Hoteliers, Einzelhändler, Messe- und Kongressveranstalter, Verleger, Informatik-Discounter, freischaffende Berufe und last but not least mittelständische Industriebetriebe sowie global aufgestellte Familienunternehmen mit Umsatzziffern jenseits der Milliardengrenze. Kritisch ist die Situation auch bei kleinen Brauereien mit regionalen Absatzmärkten. Selbst große familiengeführte Brauereien beklagen jetzt dramatische Verluste beim Bierausstoß. Nach Befragungen der Fachverbände sind über alle Branchen bereits ca. 70% der Familienunternehmen durch Umsatzrückgänge von durchschnittlich 50% betroffen. Viele Unternehmen erzielen durch das Shutdown zur Zeit keine Umsätze. Neben dem Einzelhandel und der Gastronomie sind der Werbemarkt, konzernfreie Reisebüros und die Immobilienbranche gefährdet. Nach einer repräsentativen Erhebung gehen 20% der befragten Unternehmen infolge Corona von Finanzierungsengpässen aus. Kleinere Unternehmen schließen eine Insolvenz nicht aus. Diese Insolvenzen hätten weitere Auswirkungen, weil jedes Insolvenzunternehmen bei noch intakten Firmen als Kunde – aber auch als Lieferant – ausfällt.
Selbst größere Familienunternehmen sind von der Corona-Krise betroffen, wie das Beispiel des Haushaltsgeräte-Premium-Herstellers Miele zeigt. Das Unternehmen spürt infolge geschlossener Fachgeschäfte einen erheblich gestörten Absatz seiner Konsumprodukte. Die Fertigung ist durch die eingeschränkte Belieferung mit Zulieferteilen gefährdet. Noch stehen Wirtschaft und Bevölkerung loyal zu den vom Bund und den Ländern beschlossenen Corona-Beschränkungen. Doch alle erwarten eine Perspektive für die Zukunft. Springer-Chef Mathias Döpfner hat vor einem zu langen Shutdown gewarnt. Würde der Stillstand, so Döpfner, über den Sommer anhalten, hätte Deutschland zwar geschlossene Eisdielen, aber lange Warteschlangen vor den Suppenküchen. Dies mag übertrieben sein, ist aber so abwegig nicht. In ein ähnliches Horn stieß Prof. Volker Wieland, PH.D, Wirtschaftweiser im Sachverständigenrat: Man könne die Wirtschaft nicht unbegrenzt auf Stopp setzen. Drastisch formulierte es Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, in dem er einen allzu langen Zustand des Herunterfahrens der Wirtschaft kritisierte: „Am Ende haben wir mehr Tote, weil die Grundversorgung nicht mehr funktioniert“, so Aiwanger.
Inzwischen haben Bund und Länder – aber auch die EU – finanzielle Hilfspakete und Schutzschirme mit Bürgschaften und Krediten für kleine Solo-Firmen und für größere Unternehmen im Eiltempo verabschiedet. Die EU hat den Weg für eine 100-prozentige deutsche Staatshaftung bei Corona-Rettungskrediten – abgesichert über die bundeseigene KfW-Bank – freigemacht. Auch Brüssel hat für Corona-Hilfsmaßnahmen ein Hilfspaket über 540 Milliarden Euro geschnürt. Im Hintergrund lauert unausgesprochen das Gespenst Inflation. Noch sind wir davon weit entfernt! Deshalb ist die Sicherung der Liquidität für die Unternehmen das Gebot der Stunde. Dabei erfordern außergewöhnliche Umstände außergewöhnliche Maßnahmen.
Allerdings muss auch die EZB (Europäische Zentralbank) von ihrer Politik der Negativzinsen endlich Abstand nehmen. Dies hat die Banken seit 2014 bereits 26,5 Milliarden Euro gekostet, Gelder, die der Finanzwirtschaft fehlen. Dennoch: Ohne Kredite bricht in der aktuellen Situation die Wirtschaft zusammen. Nicht wenige Unternehmen würden dann bei den Banken nicht nur als Firmenkunden, sondern zeitversetzt auch als Finanzanleger ausfallen. Deshalb könnten in einer Kettenreaktion die Banken bei Kreditverweigerungen selbst Probleme bekommen. Für die Hausbanken kleiner Unternehmen (in der Regel Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken) ist die durch Brüssel im April 2020 genehmigte 100 Prozent-Staatsgarantie eine wichtige Erleichterung bei der Kreditvergabe z.B. an „Solo-Unternehmen“.
Nicht alle Unternehmen sind betroffen
Trotz des weitgehenden Stillstandes der Wirtschaft gibt es Lichtblicke im Arbeitsmarkt. Schließlich sichern staatliche und kommunale Unternehmen (Strom, Gas, Wasser, Entsorgung) zahlreiche Arbeitsplätze. Auch die vielgescholtene Landwirtschaft ist als Nahrungsmittelproduzent (Milch, Eier, Gemüse, Obst und Fleisch) krisensicher. Die Pharmaindustrie und Medizintechnik, Hygiene- und Desinfektionsprodukte-Hersteller und schließlich die Lebensmittel- und Molkereiwirtschaft sowie Logistikfirmen profitieren als systemrelevante Branchen der Grundversorgung. Auch werden sich eigenkapitalstarke große Familienunternehmen, die über eine breite Produktpalette verfügen, nach dem Hochfahren der Produktion relativ schnell stabilisieren.
Sorgen bereitet die Autoindustrie einschließlich der Zulieferer als zentraler deutscher Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor. Coronabedingt sind die deutschen PKW-Neuzulassungen allein im März 2020 um 38% auf 215.100 PKW gesunken – der höchste Rückgang seit der deutschen Wiedervereinigung. Die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens spiegeln sich in der PKW-Produktion der deutschen Hersteller wider; im März 2020 wurden mit 287.900 PKW-Einheiten 37% weniger Fahrzeuge gegenüber dem Vergleichsmonat des Jahres 2019 hergestellt. Die Exporte sind im bisherigen Jahresverlauf drastisch eingebrochen. Zusätzlich kämpfen die deutschen Autoproduzenten und ihre Zulieferer mit einem ideologischen Auto-Bashing, das sich allerdings nach der Corona-Krise erübrigen dürfte. Die Verteufelung der Autoindustrie wird mehrheitlich in der Bevölkerung nach Corona ein Ende haben. Die Bürger haben jetzt den Stellenwert der Branche für Beschäftigung und Wohlstand erkannt. Es wird nicht mehr leicht sein, das Auto bzw. die Mobilität mit dem Klima auszuspielen. Das Hemd sitzt näher als der Rock. Die Menschen brauchen Arbeit. Die Automobilindustrie und die Zulieferer sorgen für Arbeit, wenn man sie nur lässt! Aufgrund der Bedeutung der Automobilindustrie für die deutsche Volkswirtschaft, sprechen sich bereits die Ministerpräsidenten der Länder Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg für staatliche Stützungsmaßnahmen der Branche aus.
Ein Hoffnungsanker für die deutsche Autoindustrie inklusive ihrer Zulieferer ist nach wie vor der chinesische Absatzmarkt. In China bestellen die Kunden bereits wieder deutsche Fahrzeuge. BMW will in China den Absatz um 5 bis 10% steigern. Inzwischen sind in China die Autohäuser wieder überwiegend geöffnet. Deshalb hat BMW in seinem chinesischen Werk Shenyang die Produktion wieder angefahren und den Vertrieb landesweit aufgenommen. Auch VW geht davon aus, dass „der chinesische Automarkt im Frühsommer das Niveau des vergangenen Jahres erreichen könnte“. China ist für die deutschen Produzenten BMW, Daimler und VW der größte Absatzmarkt. Wie sich der Automarkt für die deutschen Hersteller in den Vereinigten Staaten nach Corona entwickelt, hängt von den politischen Entscheidungen der US-Regierung ab.
Die Welt wird eine andere – mit neuen Chancen
Nach Corona wird in Deutschland vieles anders werden. Branchen wie der internationale Ferntourismus werden an Bedeutung verlieren. Die Deutschen werden nach Corona das Geld nicht mehr so locker ausgeben. Auch beim Staat wird für viele Vorhaben und „Spielwiesen“ kein Geld mehr vorhanden sein. Die Energiewende kommt auf den Prüfstand: Unternehmen und Bürger können extrem hohe deutsche Energiepreise, die den Wirtschaftsstandort und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (somit die Beschäftigung) gefährden, nach Corina nicht mehr akzeptieren. Auch die politisch verordnete unsinnige Vernichtung großer Produktivvermögen könnte ein Ende haben: Neue moderne und effiziente konventionelle Kraftwerke wie Datteln 4 oder der Mannheimer Block 9 mit jeweiligen Investitionssummen von deutlich über einer Milliarde Euro aus ideologischen Gründen nicht in Betrieb gehen zu lassen oder gar wieder zurückzubauen: dies wird der deutschen Öffentlichkeit angesichts knapp werdender Haushaltsmittel nicht mehr vermittelbar sein, denn der Steuerzahler zahlt die Entschädigungen an die Betreiber. Sichere Arbeitsplätze erhalten nach Corona einen besonders hohen Stellenwert und werden eine ideologisch übertriebene wirtschaftliche Transformation in den Hintergrund rücken. Bereits jetzt hinterfragen die Menschen Vorurteile der letzten Jahre gegenüber intakten Branchen wie die Auto- oder Pharmaindustrie. Es wird wieder viel Normalität bei der Beurteilung der Wirtschaft einkehren. Parteien, die dies nicht verstehen, werden bei Wahlen Zustimmung verlieren. Es wird auch nicht mehr so viel „gewendet“ werden (Energie-, Agrar-, Ernährungs-, Mobilitäts- und Waldwende). Corona hat z.B. den Stellenwert der Landwirtschaft für die Ernährung der Menschen verdeutlicht. Das „Bauern-Bashing“ und die geforderte Agrarwende dürften abnehmen.
Runder Tisch mit der Pharmaindustrie
Dies gilt auch für die Pharma-Industrie, die neben der Autobranche zum industriellen Feindbild einiger Kreise wurde. Forschende deutsche Pharma-Unternehmen sind durch die Corona-Krise in das öffentliche Interesse gerückt. Eines der wichtigsten Themen ist aktuell die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Corona; die Pharmaindustrie erhält ein neues Bewusstsein. Die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneiprodukten liegt im nationalen Interesse. In der Vergangenheit wurde die deutsche Pharmaindustrie mit einer hohen Regulierungsdichte, verbunden mit finanziellen Belastungen (Festbeträge, Rabatte), konfrontiert. Dies führte teilweise zu einer Abwanderung der Pharmaproduktion in das Ausland.
Die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe zur Bekämpfung des Corona-Virus ist enorm kostenintensiv und kann nur durch wirtschaftlich starke Unternehmen umgesetzt werden. Inzwischen sind gegen SARS-CoV-2 zahlreiche Impfstoffprojekte mit der Beteiligung deutscher Pharmaunternehmen angelaufen. Aber es fehlt die Koordination. Notwendig wäre längst ein von der Bundesregierung zu organisierender „runder Tisch“ mit den Chefs der Pharmaunternehmen zum Stand Medikamente und Impfstoffe gegen das Coronavirus. Es müsste möglich sein, entsprechende Interessen mit den europäischen Weltklasseunternehmen der Pharmaindustrie (F.Hoffmann-La Roche, Novartis, Sanofi, GlaxoSmithKline) zu bündeln. Hinzu kommen die deutschen Spitzenunternehmen Bayer, Boehringer Ingelheim und Merck Darmstadt. Alle genannten Pharmaunternehmen sollten die Corona-Aktivitäten mit den US-Pharmagesellschaften Pfizer, Johnson & Johnson und Merck Sharp & Dohme abstimmen. Konkurrenzdenken ist bei der Weltkrise Coronoa unangebracht. Nur gemeinsam kann die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen gegen das Coronavirus beschleunigt werden. Stattdessen beschäftigt sich die deutsche Politik mit so weltbewegenden Fragen, ob ab Mai wieder Bundesligaspiele möglich sind. Die Politik redet den Bürgern ständig ein, dass die Beschränkungen anhalten müssten, solange kein Impfstoff oder Medikamente gegen Corona zur Verfügung stünden. Und warum unternimmt dann die Regierung nichts? Der runde Tisch mit Pharmaunternehmen ist überfällig.
Jede überstandene Krise führt zu neuen Sichtweisen. Deutsche Tüchtigkeit und Erfindergeist haben oft zur Lösung neuer Herausforderungen beigetragen. Dazu ist allerdings ein breiter gesellschaftspolitischer und parteiübergreifender Konsens notwendig. Wenn dieser über Parteigrenzen gelingt, hätte Corona bei allem Drama zu einer gewissen Besinnung geführt. Die Zeit nach Corona könnte dann die Stunde null, vergleichbar mit 1945 nach dem Ende des 2. Weltkriegs, sein. Von da an ging es wieder bergauf! Es gibt auch ein Deutschland nach Corona.