Rot-Rot-Grün hat im Thüringer Landtag keine Mehrheit
Thomas Kemmerich hat sich im Thüringer Landtag gegen den Amtsinhaber Bodo Ramelow überraschend im 3. Wahlgang durchgesetzt. Kein Mensch – übrigens Kemmerich selbst nicht – konnte ahnen, dass ihn die AfD-Fraktion wählen würde, zumal diese auch im 3. Wahlgang ihren eigenen Kandidaten nominierte. Insofern kam Kemmerich als „Zählkandidat“ zum Amt des Ministerpräsidenten wie die Jungfrau zum Kind! Nach seiner anschließenden Vereidigung fegte zunächst ein medialer Sturm durch Deutschland. Die Politik, zunächst sprachlos, folgte umgehend. Von einer Verfälschung des Wählerwillens durch CDU und FDP wurde gesprochen, von einer Schande für die Liberalen war zu lesen und die Bundeskanzlerin forderte sogar von Afrika aus, dass die Wahl Kemmerichs wieder rückgängig gemacht werden müsse. Sogar das Wort Putsch musste für die Einschätzung herhalten.
Bereits 24 Stunden nach seiner Vereidigung gab der neue Ministerpräsident dem innerparteilichen Druck der Bundes-FDP und der Medien nach und kündigte einen Antrag zur Auflösung des Landtags mit dem Ziel an, Neuwahlen in Thüringen zu ermöglichen. Doch inzwischen wird auch darüber gestritten, nachdem insbesondere die Thüringer CDU befürchten muss, erneut deutlich an Stimmen zu verlieren, weil sie jetzt erkennbar ihre frühere Klientel nicht mehr erreicht. Die FDP dürfte bei Neuwahlen ihren gewonnenen Landtagsstatus wieder verlieren und auch für die Grünen, die ja wie die FDP auch nur 5 % bei der letzten Landtagswahl erhielten, ist keineswegs sicher, ob sie den Einzug in den Landtag in Thüringen erneut schaffen. Doch bei aller Hysterie ist es vielleicht sinnvoll, einmal die Gedanken wieder in Richtung Vernunft zu sortieren. Und deshalb einige Klarstellungen.
- Die Abstimmung im Landtag mag aus der Sicht von Rot-Rot-Grün ein „Gschmäckle“ haben – aber Kemmerich ist ganz legal und verfassungskonform in einem parlamentarischen Prozess zum Ministerpräsidenten gewählt worden.
- Die These, Kemmerich sei mit Tricks gegen die Mehrheit der Bevölkerung in Thüringen Ministerpräsident geworden, ist Unsinn, weil in dem von der Bevölkerung gewählten derzeitigen Landtag Rot-Rot-Grün mit 42 Mandaten (von insgesamt 90) eben genau keine Mehrheit hat.
- Der linke bisherige Amtsinhaber Ramelow hat zumindest im entscheidenden 3. Wahlgang offensichtlich entgegen dem geäußerten Mainstream zwei Stimmen aus dem Lager CDU und FDP erhalten, wenn man unterstellt, dass das links-rot-grüne Lager mit seinen insgesamt 42 Stimmen geschlossen für ihn gestimmt hat und man gleichzeitig davon ausgehen kann, dass er von der AfD keine Stimme erhielt. Immerhin haben AfD, CDU und FDP im Landtag 48 Stimmen und somit eine rechnerische Mehrheit im Landtag. Das ist Fakt.
Warum den ideologischen Gegner unterstützen?
Zunächst ist es das demokratische Recht jeder Partei, in einem Parlament die „Konkurrenz“, vor allem wenn diese ein ideologischer Gegner ist, eben nicht zu unterstützen. Ansonsten bräuchten wir keine Opposition. Denn „zunickende“ Oppositionsparteien (sie wären dann „Blockflöten“) würden in Thüringen gegenüber dem angepeilten links-rot-grünen Regierungsbündnis ihre eigene Identität, ihr eigenes Profil, verleugnen. Die frühere DDR lässt mir ihren Blockflöten-Parteien, die nichts anderes als ein williges Anhängsel der SED waren, grüßen! Wenn, wie am 5. Februar 2020 im Thüringer Landtag geschehen, CDU oder FDP einem psychologischen Druck unterworfen wurden und jetzt wieder werden, dem politischen Gegner – Linke, SPD und Grüne – zur Macht zu verhelfen, dann brauchen konservative CDU oder FDP Wähler(innen) gleich gar nicht mehr künftig an die Wahlurnen zu gehen. Üblicherweise wollen CDU und FDP Wähler(innen) einer links-rot-roten Koalition eben genau nicht zur Macht verhelfen. Die AfD ohnehin nicht.
Geschieht dies durch CDU und FDP trotzdem im Landtag, ob mit Tolerierung oder durch direkte oder indirekte Unterstützung des politischen Gegners (u.a. die Nachfolgepartei der kommunistischen SED), wird eine weitere Erosion der CDU und FDP folgen: der schleichende Tod. Anders formuliert: eine Strategie, unabhängig von Thüringen, bei der frühere konservative Parteien ihre Identität verraten und fundamentalistisch und ideologisch ausgerichtete Parteien unterstützen, wird zum weiteren Bedeutungsverlust im „bürgerlichen“ Lager führen. Wieso soll etwa die CDU eine links-rot-grüne Koalition mit einem linken Ministerpräsidenten, den nicht wenige auch als einen Kommunisten bezeichnen, dauerhaft als Steigbügelhalter unterstützen, wie die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Göring-Eckardt, jetzt forderte? Dieses Ansinnen ist absurd und käme einer Abschaffung des Restes der Union gleich. Wenn rot-rot-grün in Thüringen regieren will, dann muss sich diese Koalition schon selbst die dafür notwendigen Mehrheiten beim Wähler beschaffen.
Weshalb soll man noch wählen?
Eine „bürgerliche“ Koalition auf Bundesebene, Unionsparteien und FDP allein, wird für eine lange absehbare Zeit (wenn überhaupt) ohne die ausgegrenzte AfD beim derzeitigen Parteiengefüge nicht zustande kommen. Dies ist eine nüchterne Analyse und mit Blick auf die Parteienstärke ein ganz einfaches Rechenexempel. Um ein weiteres Abdriften von Unionsparteien und FDP zum Bedeutungsverlust zu verhindern, wird es auf längere Zeit notwendig sein, die Verhältnisse im bürgerlichen Lager richtig zu analysieren. Es sei denn die Konservativen akzeptieren – nur um an der Macht zu bleiben oder an ihr beteiligt zu werden – links-grüne Thesen wie „Demokratischer Sozialismus“, Vergesellschaftungen sowie ideologische wirtschaftsfeindliche und damit Arbeitsplätze gefährdende Ideologien.
Für das derzeitige Gezänk und Durcheinander in Thüringen ist in erster Linie die links-grün gewordene Bundes-CDU selbst schuld. Die durch die langjährige Parteivorsitzende Angela Merkel nach links gewendete CDU hat ihre Stammwähler vergrault und deshalb, und nur deshalb, diese an die Konkurrenz AfD verloren. Das bürgerliche Wählerspektrum, inzwischen ohne politische Heimat, geht entweder erst gar nicht mehr wählen (dies zeigt die Wahlbeteiligungsquote) oder macht das Kreuz auf dem Wahlzettel bei der AfD. Es gab Bundestagswahlen mit einer Wahlbeteiligung von über 90%. 2019 lag die Wahlbeteiligung trotz einer enormen Mobilisierung bei 76,2%; 2013 waren es sogar nur 71,5%. Da könnte die CDU also noch viele konservative Wähler reaktivieren, wenn sie noch eine echte bürgerliche Partei wäre. Noch 2004 erzielte die Union in Thüringen die absolute Stimmenmehrheit im Landtag. Von da an ging es bergab.
Hoffnung Werteunion
Ein Hoffnungsschimmer ist allerdings bundesweit die Werteunion, die als konservativer Flügel der Union das Leitbild einer konservativen Partei, die sich der Marktwirtschaft verpflichtet sieht, noch hochhält. Doch wenn auch die Werteunion von der eigenen CDU-Führung an den Rand gedrückt wird und gar ausgeschlossen werden soll, muss sie ganz zwangsläufig zum neuen konservativ-bürgerlichen Sammelbecken – und zwar als eigene Partei – der früheren Unionswähler werden. In einer nicht mehr zu überbietenden parteipolitischen Dummheit forderte Christian Bäumler vom CDU-Arbeitnehmerflügel CDA doch allen Ernstes die CDU-Spitze auf, die Werteunion aufzulösen. Doch die Werteunion repräsentiert noch die guten alten CDU-Prinzipien eines Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Rainer Barzel und Helmut Kohl. Sie vertritt konservativ-christlich-bürgerliche CDU-Werte vergangener Zeiten.
Die Werteunion sei eine Hilfstruppe der AfD, so Bäumler. Man weiß nicht, ob man über diesen hanebüchenen Unsinn den Kopf schütteln muss oder schon für die Zukunft der CDU resignieren soll, denn die Werteunion ist kein Anhängsel und schon überhaupt nicht eine Hilfstruppe der AfD, sondern das bürgerliche Gewissen der CDU. Was Teile einer leider offenbar schon linksunterwanderten CDU wollen, ist genau das gleiche Strickmuster, mit der sich die ehemals führende italienische Schwesterpartei Democrazia Cristiana (DC) die Jahrzehnte die italienische Politik dominierte, selbst zerfleischte. Nur zu, möchte man Bäumler und anderen Linken in der CDU zurufen, so macht man auch noch den Rest der CDU kaputt.
Die CDU steht am Scheideweg. Entweder-Oder! Diesen Scheideweg ging die ehemalige große italienische Schwesterpartei der CDU/CSU, die Democrazia Cristiana (DC), als sie nicht nur mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, sondern auch immer stärker von einem linken Flügel beeinflusst wurde, der sich schließlich als linke DC unter dem Namen Cristiano Sociali (CS) aufstellte. Vergangenheit! Es war das Aus einer großen christlichen Partei. Will die Union dieses Schicksal? Will sie etwa mit Kommunisten paktieren, will sie mit einer ideologischen wirtschaftsfeindlichen Verbotspartei eine Koalition? Will sie das Fundament starker Familienunternehmen untergraben, wenn sie in künftigen Regierungen Koalitionen mit Parteien eingeht, die von Verstaatlichungen träumen? Feuer und Wasser sind Feinde …