Eine europäische Armee müsste ja im Bündnisfalle ein integrierter Bestandteil der NATO, deren militärischer Oberbefehlshaber immer ein amerikanischer General oder Admiral ist, sein. Ansonsten wäre politisch und militärisch eine Europa-Armee eine Art Konkurrenz zum bewährten NATO-Bündnis. Diese Konkurrenzsituation würde jeder US-Präsident, unabhängig vom jetzigen Amtsinhaber, nie akzeptieren. Denn die USA tragen nun einmal die Hauptlast im NATO-Bündnis. Eher würden die Amerikaner – und die Briten – das NATO-Bündnis nach dem Motto „macht Euern Dreck alleene“ (Friedrich August III) verlassen. Politisch werden mit Sicherheit Länder wie Polen und andere osteuropäische Staaten beim Projekt einer Europa-Armee nicht mitmachen, weil sie den Sicherheitsgaranten USA zurecht höher einschätzen als eine Europa-Armee, die im Grunde genommen von Frankreich dominiert würde.
Doppelstrukturen
Aber selbst im unrealistischen Falle einer Integration der Europa-Armee in die NATO stellen sich sofort die Fragen der nicht sinnvollen Doppelstrukturen auf den Führungs- und Finanzebenen. Da das Vereinigte Königreich als stärkste europäische Militärmacht mit dem Brexit demonstriert, was es von der EU hält, fallen die Briten für französisch-deutsche Träumereien ebenfalls aus. Politisch ist aber die Frage erlaubt, wer konkret hinter einer europäischen Armee steht, und wer militärisch den Oberbefehl hat. Wer bestimmt über Einsätze dieser Armee, die letztendlich auf eine gemeinsame Armee der Franzosen und der Deutschen hinauslaufen würde.
Interessant ist auch die Überlegung, ob es neben der „Europa-Armee“ weitere nationale Streitkräfte, die ja z.B. Deutschland laut NATO-Vertrag dem Bündnis zur Verfügung stellen muss, geben wird. Mit einer „Europa-Armee“, die ja lt. Macron unabhängig und somit nicht dem Bündnis unterstellt werden soll, entstehen ja erhebliche militärische Mehrkosten auch für Deutschland. Was geschieht mit der Bundeswehr? Wird die gewissermaßen halbiert, je die Hälfte dem NATO-Bündnis und der „neuen“ Europa-Armee unterstellt? Auch hier Doppelstrukturen? Bereits jetzt erfüllt Deutschland nicht ansatzweise seine selbst eingegangenen Verpflichtungen mit Verteidigungsausgaben von 2% des Bruttoinlandsprodukts. 2017 gab Deutschland laut SIPRI (Stockholm) mit 44,329 Milliarden USD gerade einmal beschämende 1,2% aus. US-Präsident Trump liegt mit seiner Rüffelei der deutschen Ausgaben für Verteidigung ja durchaus richtig. Immerhin gab Frankreich 2,3% des BIP im Jahr 2017 aus.
Force de frappe?
Gegen welchen Drittstaat soll sich die Europa-Armee richten? Von den potentiellen „Feindbildern“ her, kann im militärischen Einsatzfall als Angreifer nur Russland gemeint sein. Unabhängig davon, dass eine weitere Armee nicht unbedingt einen Beitrag für eine westeuropäisch-russische Entspannung darstellt, kann man ohne den militärischen Schutz durch die Vereinigten Staaten die Verteidigungsfähigkeit einer Europa-Armee gegen Russland getrost vergessen. Schade für das Geld. Es sei denn, die Franzosen würden als atomare Abschreckung ihre teure Force de frappe mit strategischen Atom-U-Booten der „Triomphant-Klasse“ (mit einer jeweiligen Verdrängung von über 14.300 t getaucht) im nationalen Eigentum und Interesse aufgeben und in die Europa-Armee integrieren. Von seinen riesigen Atom-U-Booten (SSBN) kann Frankreich die ballistischen interkontinentalen Atomraketen M 51 abfeuern. Sie können im Ernstfall jeden Punkt der Erde erreichen. Dass Frankreich die Force de frappe aufgibt, ist jedoch ist beim Selbstverständnis der „Grande Nation“ weder vorstell- noch umsetzbar. Dazu müsste auch die französische Verfassung der 5. Republik geändert werden, denn über den Einsatz der Force de frappe entscheidet nur der französische Präsident. Allein das Entwicklungsprogramm der Triomphant-Klasse kostete 8,5 Milliarden Euro – ohne die Produktion der U-Boote. Hinzu kommen 60 Interkontinentalraketen des Typs M 51 zum Stückpreis von 150 Millionen Euro, also weitere 9 Milliarden Euro.
Neben den riesigen Triomphant-Atom-U-Booten hat Frankreich ein weiteres extrem kostenintensives Programm sechs neuer Atom-U-Boote der „Barracuda-Klasse“ aufgelegt. Es handelt sich um SSN-Boote, also Angriffs-U-Boote unterhalb des interkontinentalen Bereiches – aber immerhin auch mit einer getauchten Wasserverdrängung von 5.300 t je Atom-U-Boot. Die größten konventionellen U-Boote der Bundesmarine, die auch nicht gerade „billig“ sind, haben eine Wasserverdrängung von ca. 1900 t. Dies unterstreicht den Unterschied der Dimension. Mag Deutschland zwar die größere Wirtschaftsnation sein, militärisch spielt Frankreich in einer ganz anderen Liga. Allein das derzeit realisierte Programm der „Barracuda-Klasse“ kostet über 9 Milliarden Euro, bei endgültiger Abrechnung wahrscheinlich viel mehr. Eine derartig starke atomare U-Boot-Flotte wie Frankreich mit SSBN- und SSN-U-Booten unterhalten lediglich noch die USA, Russland und das Vereinigte Königreich – mit Abstrichen vielleicht noch China.
Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass Frankreich seine Militärausgaben im konventionellen Bereich über eine Europa-Armee umverteilen will. Die enormen Aufwendungen laufen den Franzosen aus dem Ruder. Eine Umverteilung der Kosten ist ein durchaus aus der Sicht von Macron guter Schachzug. Deutschland würde konkret an den Ausgaben der Weltmacht spielenden Franzosen beteiligt, hat aber bei den wirklichen Entscheidungen des Einsatzes der Force de frappe nichts zu sagen, weil diese nicht integriert wird. Eine weitere Frage ist der prestigeträchtige Elite-Großverband (8.900 Mann) „Légion étrangère“ (die Legion). Wird Frankreich diesen Verband, der wie kein anderer für die große französische Militärtradition steht, aufgeben und in die Europa-Armee überführen? Niemals.