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Deutsche Automobilindustrie vor großen Herausforderungen

Mit Bernhard Mattes steht als neuer Präsident des VDA ein „Urgestein der Autoindustrie“ an der Spitze des Branchenverbands der deutschen Autoindustrie. Mit Bernhard Mattes steht als neuer Präsident des VDA ein „Urgestein der Autoindustrie“ an der Spitze des Branchenverbands der deutschen Autoindustrie. © VDA

VDA-Branchenverband will angeschlagenen Ruf verbessern

Deutschland wichtigste Branche, die Automobilindustrie, kämpft nach den Dieseldiskussionen um Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig fordert der Verband der Automobilindustrie (VDA) eine Versachlichung der immer noch kontrovers geführten Debatten um die Emissionen im Straßenverkehr. Dies waren, neben der Marktpositionierung der deutschen Autobauer inkl. der Zulieferer, die Kernbotschaften des neuen VDA-Präsidenten Bernhard Mattes am 3 Juli 2018 auf der Halbjahrespressekonferenz des Verbands.

Mit Mattes wurde als Nachfolger des langjährigen früheren Politikers Matthias Wissmann, der seit 2007 bis Ende Februar 2018 an der Spitze des mächtigen VDA stand, wieder ein ausgewiesener ehemaliger Automanager – siehe Kasten – neuer Präsident des Interessenverbandes der deutschen Automobilindustrie (Fahrzeughersteller, Zulieferer und Produzenten von Hängern, Aufbauten und Omnibussen).

Neuer Produktionsrekord

Trotz guter Eckzahlen – nach der VDA-Prognose werden die deutschen Pkw-Hersteller weltweit mit 16,7 Millionen produzierten Fahrzeugen im laufenden Geschäftsjahr 2018 einen neuen Höchststand erreichen – steht die Automobilindustrie vor großen Herausforderungen. Neben der Zukunft des Diesels und den angeheizten Debatten um evtl. Fahrverbote ist letztendlich immer noch die verkehrspolitische Frage offen, wie auch im internationalen Maßstab die individuelle Mobilität künftig aussieht. Eine offene Flanke sind auch die Themen Protektionismus, Zölle und Handelskonflikte etwa mit den Vereinigten Staaten. Trotz der enormen Innovationsfreude der deutschen Automobilindustrie in den Themen Digitalisierung, Vernetzung und automatisiertes Fahren bleibt es allerdings noch fraglich, inwieweit die Autofahrer etwa beim automatisierten Fahren „mitspielen“.

Kurzfristig wichtiger als das automatisierte Fahren ist die digitalisierte und individuelle Lenkung der Verkehrsströme entsprechend des Verkehrsaufkommens in den Städten und Ballungsräumen – auch als Beitrag zur Reduzierung der Emissionen. Abzuwarten ist schließlich, wie oben bereits erwähnt, ob sich das automatisierte Fahren zur Erhöhung der Sicherheit bei den Nutzern der Automobile durchsetzen wird. Unfälle mit automatisierten Fahrzeugen in den USA haben im Frühjahr 2018 die Diskussionen negativ angeheizt. Autos würde die menschliche Intuition fehlen, heißt es; automatisiertes Autofahren, etwa in der letzten Stufe (insgesamt sind es fünf), hat viel mit Psychologie zu tun. Die Automobilindustrie muss wissen, dass durchschnittliche Autofahrer keine Flugkapitäne sind, die sich dem Autopiloten im Cockpit anvertrauen. Dennoch ist es richtig, dass die deutsche Automobilindustrie neben den Innovationsfeldern Digitalisierung auch das Thema vernetztes und automatisiertes Fahren besetzt. Die ausländische Konkurrenz tut es auch und schläft nicht.

Allerdings sind Deutschlands Autobauer gerüstet. Mattes wies auf der Halbjahrespressekonferenz 2018 des VDA jetzt darauf hin, dass jedes zweite weltweite Patent beim vernetzten und automatisierten Fahren von der deutschen Automobilindustrie stammt. Allein in den Bereich Digitalisierung und Vernetzung will die Automobilindustrie in den nächsten drei Jahren 18 Milliarden Euro investieren. Insbesondere in den Metropolregionen wollen sich die Autobauer mit innovativen Angeboten – Ride-Pooling-Angebote mit elektrisch betriebenen Shuttle-Fahrzeugen – auch zu Mobilitätsdienstleistern mutieren. Derartige Projekte – so Mattes – könnten einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität darstellen. Dazu gehören auch die Themen Carsharing, Ride-Hailing oder E-Scooter.

Verzerrte Meinungsbilder bei den Themen Diesel, Luftqualität und Beschäftigung

Doch vordergründig will die Automobilindustrie und der VDA die Herausforderungen Diesel und Luftqualität und insbesondere die Versachlichung der Diskussionen um die Stickoxidemissionen aktiv angehen. Wie wir bereits in unserem Beitrag „Sein oder Nichtsein für Deutschlands wichtigste Industriebranche“ feststellten, ist eine wertfreiere Sicht zum Aspekt Emissionen, Gesundheit und Grenzwerte dringend geboten. Mattes erläuterte, dass sich „die Stickoxidemissionen des Straßenverkehrs seit 1990 um rund 70% verbessert haben“, obwohl die Verkehrsleistung im gleichen Zeitraum um 50% gestiegen ist. Im Übrigen hat deutscher Erfindergeist in der Technologie inzwischen den Durchbruch bei der Lösung des Problems der Stickoxide geschafft.

Der Dieselantrieb – fair betrachtet – hat noch lange eine gute Zukunft. Mattes: „Der moderne Diesel ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Wir sind in dieser Technologie führend“. 2017 wurden 1,1 Mio moderne Euro-Diesel zugelassen und ebenso ältere Diesel gingen aus dem Bestand. Allein dadurch löst sich das Stickoxide-Problem weitgehend von selbst. Freilich, dies deutete Mattes an, müssen auch die Rahmenbedingungen der von der EU vorgegebenen Grenzwerte realistisch und für die Automobilindustrie umsetzbar sein. In der EU gelten z.B. die anspruchsvollsten CO2-Ziele. Ab 2020 gilt ein Grenzwert von 95g CO2. Im Vergleich dazu betragen die Grenzwerte in Japan 105g, in China 117g und in den USA 121g.

Mattes sieht beim Diesel eine einkehrende Beruhigung. Insbesondere die großen Unternehmens- und Industriekunden bleiben offensichtlich dem Diesel bei der Bestückung ihrer Fahrzeugflotten treu. Gleichwohl ist der Diesel-Absatz durch die Verunsicherungsdebatten erheblich eingebrochen. Inzwischen hat der Diesel mit 38,8% den niedrigsten Anteil der neu zugelassenen Fahrzeuge seit 2009. Nicht zuletzt deshalb will Mattes das verloren gegangene Vertrauen der Autokäufer zurückgewinnen. Insbesondere aufgrund der neuesten Dieselfahrzeuge, gebe es keinen Grund, auch nach der Dieselaffäre die Antriebstechnologie Diesel „auf ewig zu verdammen“, sagte der VDA-Präsident.

Zurecht wies jetzt Mattes darauf hin, dass alle Ziele letztendlich auch machbar sein müssen, wenn die industrielle und wirtschaftliche Basis für Wachstum und Beschäftigung in Europa nicht gefährdet werden soll. Derzeit – Stand April 2018 – werden durch die deutsche Automobilindustrie 832.000 Arbeitsplätze gesichert. Allein beim Technologiekonzern und Automobilzulieferer Bosch sind 50.000 Arbeitsplätze von Diesel abhängig. Zwar, so betonen die Stuttgarter, sei die Lage bei der Automobilsparte bzw. beim Selbstzünder noch überschaubar – aber dies sei vor allem der starken Nachfrage nach Nutzfahrzeugen im Markt China zu verdanken.

40 Milliarden Euro für die Elektromobilität

Einen hohen Stellenwert nimmt für die deutsche Autoindustrie die Mobilität der Zukunft ein. Mattes belegte dies mit beeindruckenden Zahlen. In den kommenden drei Jahren würden Deutschlands Autobauer ihr Angebot in der Elektromobilität von 30 auf über 100 E-Modelle erhöhen. Gleichzeitig wird die „Industrie insgesamt 40 Mrd. Euro in alternative Antriebe“ mit einem Schwerpunkt in die Elektromobilität investieren, sagte Mattes weiter. Die Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen haben sich im vergangenen Jahr in Deutschland verdoppelt, freilich noch von einem niedrigen Niveau ausgehend. Von einem Bestand von 46,5 Millionen Fahrzeuge entfallen lediglich – die Verdoppelung eingerechnet – knapp 54.000 Einheiten auf die Elektromobilität. Es hapert nach wie vor bei der flächendeckenden Infrastruktur mit Ladeeinrichtungen. Hierfür muss auch die Politik die Rahmenbedingungen verbessern. Auf der technischen Seite muss die Ladegeschwindigkeit noch erheblich verbessert werden.

Ob bis zum Jahr 2025 ein Elektroanteil von 15% erreicht werden kann, erscheint aus heutiger Sicht für sehr fraglich. Aktuell beträgt er lediglich 2%. Auch im internationalen Marktumfeld ist noch keineswegs ausgemacht, ob sich die Elektromobilität durchsetzen wird. Denn neben dem Verbrennungsmotor, der noch lange eine Zukunft hat (laut renommierter Fachleute auf dem Internationalen Motorensymposium 2018 in Wien), wird auch noch der Brennstoffzellenantrieb sowie die Mobilität mit Erdgas in einigen Märkten eine wichtige Rolle spielen.

Alles in allem sieht Mattes seine Branche gut aufgestellt. Sie kann ihre Funktion als Jobmotor und Exportlokomotive weiterspielen, wenn sie nicht durch einen blinden Aktionismus beim Diesel und durch politische Vorgaben mit  Handelsbarrieren und unrealistischen Grenzwerten behindert wird. Die Automobilindustrie braucht Märkte und keine Handelsbarrieren durch einen Protektionismus. Sie darf sich nicht auf einzelne starke Regionen und Länder – wie etwa auf den absatzwichtigsten Markt China – verlassen.

 

Bernhard Mattes

Der seit dem 1. März 2018 als neuer Präsident des Verbandes der Automobilindustrie amtierende Bernhard Mattes ist ein exzellenter und ausgewiesener Kenner der Automobilwirtschaft. Der am 8. Juli 1956 in Wolfsburg geborene und studierte Wirtschaftswissenschaftler ist ein Urgestein der Autobranche. Er verbrachte 36 Jahre in verschiedenen leitenden Funktionen in der Automobilwirtschaft: Von 1982 bis 1999 zunächst bei der BMW AG; anschließend wechselte er in den Vorstand der Ford-Werke AG. Von 2002 bis 2016 war er Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke und seit 2006 Vice-President der europäischen Ford Customer Service Division. Seit Januar 2017 ist er Mitglied des Aufsichtsrats der Ford-Werke GmbH und des Präsidialrats der DEKRA e.V.

Mattes verabschiedete sich als Vorsitzender der GF bei Ford mit einer eindrucksvollen Bilanz. In seine Amtszeit seien wegweisende Entscheidungen getroffen worden, hieß es in einer Ford-Mitteilung. Die Entwicklung und Umsetzung der Ford-Nutzfahrzeugstrategie sowie zukunftweisende Investitionsvereinbarungen für die deutschen Produktionsstandorte sind mit seinem Namen verbunden. Der bekennende leidenschaftliche Fan des 1.FC Köln war vom Juli 2013 bis zum 27. April 2018 Präsident der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland (AmCham Germany), der er weiterhin verbunden ist.

Letzte Änderung am Freitag, 06 Juli 2018 10:56
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag