Die Fragen müssen ernst genommen werden, wenn man die Entwicklungen und Tendenzen in einigen Staaten und Regionen beobachtet: Vereinigtes Königreich mit Schottland, Spanien mit Katalonien, das Baskenland, immer wieder aufkeimende Zwistigkeiten zwischen Flamen und Wallonen in Belgien, Bestrebungen der Lega Nord in Italien, die gelegentlich auch aufgeworfene Frage der Zukunft Südtirols und in Deutschland fast schon folkloristische Ambitionen Bayerns nach dem Motto „Wir können es auch alleine“ …
Dabei hat das Erfolgsmodell EU keineswegs versagt. Die Menschen wollen aber keine Bevormundung in regionalen Fragen durch eine allzu mächtig gewordene Administration in Brüssel. Ein Europa der Regionen mit weitgehenden Kompetenzen vor Ort könnte das Erfolgsmodell sein, um ein nationales Abdriften in Strukturen der Vergangenheit zu verhindern. Dabei könnte oder sollte die EU sozusagen ein Schirm sein, unter dem die außenpolitischen und sicherheitsstrategischen Fragen und Aufgaben angesiedelt bleiben und unter dem die großen wirtschaftlichen Eckpunkte, gemeinsamer Markt und Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen, geregelt sind. Hingegen sind die regionale Wirtschaftsstruktur, die fiskalischen Zuwendungen, Aufgaben der Infrastruktur, auch das heikle Thema Zuwanderung, Themen, die bürger- und wirtschaftsnah „vor Ort“ , sprich in den Regionen, besser geregelt werden können oder sollten.
Was waren die Ausgangspunkte für das Anliegen der Schotten, sich vom Vereinigten Königreich zu lösen, was sind die Gründe ähnlicher Bestrebungen der Katalanen? Es sind die Ängste, wirtschaftlich von den „Zentralregierungen“ überfordert zu werden. Die Schotten meinten, „ihr“ Öl und Gas in der Nordsee würden sie reicher machen und im Großraum Barcelona wird immer wieder darauf hingewiesen, dass 20% des gesamten spanischen Bruttoinlandsproduktes in der Agglomeration Barcelona erwirtschaftet wird. Dieses Gewicht würde sich in der Finanzmittelzuweisung durch Madrid nicht zeigen. Freilich werden viele Einwendungen plakativ vereinfacht dargestellt. Doch all diese Fragen wurden eigentlich bereits mit erweiterten Autonomiekompetenzen geregelt. Es besteht, nüchtern betrachtet, kein Grund für Abspaltungstendenzen.
Die tatsächlich viel bessere Alternative ist ein „Europa der Regionen“, in dem insbesondere grenzüberschreitende Räume ihre Fähigkeiten und Kompetenzen bündeln. Ein Beispiel ist die wirtschaftsstarke Region Oberbayern, Land und Stadt Salzburg sowie Arrondierungen mit Oberösterreich und Tirol mit dem Schwerpunkt Innsbruck. Ein geradezu klassisches Beispiel wäre auch die Bodensee-Region mit Baden-Württemberg, Bayern um Lindau, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein – eine ideale „Vierländer-Region“. Aber auch in West- und Norddeutschland gibt es grenzüberschreitende Regionen zur Niederlande, mit Belgien und Luxemburg oder die Großregion Hamburg, Schleswig-Holstein und Dänemark – eine Achse der erfolgreichen Ballungsräume Hamburg, Kopenhagen und sogar über die Öresundbrücke mit dem schwedischen Malmö.
Mit einem Europa der Regionen sollen Wirtschaftsräume innerhalb der EU gefördert und ihre regionale Zuständigkeiten erweitert werden. Wenn dieses Modell innerhalb der EU gut funktioniert, haben Tendenzen der Abspaltung wie in Katalonien keinen Platz. Das Abstimmungsergebnis in Schottland mit einem Bekenntnis zum Vereinigten Königreich hat ja gezeigt, dass die Menschen zwar ihre eigene Kultur und Identität pflegen wollen (als Schotten) – aber sie wollten auch „Briten“ bleiben – und dies sind die Schotten schließlich ja auch. Ein „Europa der Regionen“ ist keine Alibiveranstaltung gegen die EU. Ganz im Gegenteil stärkt das Modell die Zukunft Europas. Im Nachhinein gesehen war das von de Gaulle angestrebte Konzept eines „Europa der Vaterländer“ einer engen zwischenstaatlichen Kooperation europäischer Staaten die veränderte Blaupause für ein „Europa der Regionen“ innerhalb der EU.