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Wie gehen wir mit unserem Staatsoberhaupt um?

Wie gehen wir mit unserem Staatsoberhaupt um? Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Beispiellose Medienhysterie

Die Titelseite der Februar-Ausgabe des Monatsmagazins „Cicero“, auf der in einer Zeichnung Kopf und Hände des Bundespräsidenten Wulff im Holzwürgegriff am Pranger, von sensationsgierigen Journalisten umstellt, gefesselt sind, erinnert in erschreckender Weise an die Verurteilung und Kreuzigung Jesu. Die Frage von Pilatus, „was hat er (Jesus) denn Böses getan“ (Matthäus 27, Vers 23), wurde von einer aufgeregten Meute beantwortet: Lass ihn kreuzigen. Auch im Fall des zurückgetretenen deutschen Staatsoberhauptes Wulff hatte die Ratio, die faire Auseinandersetzung, in einer fast schon hysterischen Mediengesellschaft nicht die Spur einer Chance. Fast jeden Tag wurde ein neuer „Skandal“ aus dem Hut gezaubert, mit riesigen Überschriften in der Boulevardpresse wirkungsvoll unter die Menschen gebracht, und in Talkshows wurde scheinheilig die Frage „darf der Bundespräsident das“ gestellt.

Der Reihe nach: Zunächst war Bundespräsident Wulff die Folge einer unverschämten Medienschnoddrigkeit gegenüber seinem Vorgänger Horst Köhler, die dieser wegen dem fehlenden Respekt vor dem Amt des Staatsoberhauptes nicht mehr dulden wollte. Er trat daher zurück. Dies wird heute von den Medien und deren Journalisten gerne verdrängt. Da wurde in einem Spiegel-Artikel in der Ausgabe 22/2010 Horst Köhler, ein honoriger und kompetenter Mann, den man auch als Finanzfachmann gerade in diesen Zeiten dringend gebraucht hätte, in der Überschrift bereits als „Horst Lübke“ bezeichnet. Dies in Anspielung an die angebliche sprachliche Unsicherheit von Heinrich Lübke (Bundespräsident von 1959 – 1969). Tapsig sei er, der Bundespräsident Köhler. Das Magazin stellte gar die beleidigende Frage, was ein Präsident, gezielt gemeint war Köhler, nutze, der nicht einmal „unfallfrei“ reden könne? Dieser Spiegel-Bericht war keine Nachricht; er war schlicht kein seriöser Journalismus – er war einfach dreist. Horst Köhler heißt Horst Köhler und nicht, wie bewusst als Überschrift geschrieben, Horst Lübke, wobei Heinrich Lübke, so ganz nebenbei, durchaus ein guter Bundespräsident war.

Zwei Bundespräsidenten vom Amt gekegelt

Nach dem provozierten Rücktritt von Bundespräsident Köhler wurde dann Christian Wulff 2010 Bundespräsident; der von der vereinigten Medienschar hochgeschriebene Gegenkandidat Joachim Gauck, durchaus ein hochanständiger Mann, verlor die Wahl. Dies ist aber Demokratie. Fortan wurde Bundespräsident Wulff kritisch beäugt. Und auch er wurde jetzt von der Bühne des Amtes gekegelt und sage niemand vorschnell, der zurückgetretene Bundespräsident sei „selbst schuld“! Natürlich hat Christian Wulff in den aufgeregten Wochen seit Dezember 2011 Fehler begangen, die er auch einräumte. Aber der Mann wurde systematisch nach allen Regeln der Kunst fertiggemacht. Sogar als er im Ausland einen Staatsbesuch absolvierte. Da darf man sich doch nicht wundern, dass auch der Bundespräsident Nerven zeigte. Dies sollte zwar nicht passieren, aber auch er ist schließlich ein Mensch. Natürlich, keine Frage, haben die Medien Amt und Bundespräsident verletzt. Was da lief, hatte sehr wohl die Charakteristik einer Medienkampagne. Man denke nur an das „Vorführen“ des Präsidenten in aller Öffentlichkeit, indem man ihm über 400 Fragen schriftlich aus der Zunft der Journalisten stellte, gewissermaßen in einer Zeitachse, in der die Fragen aber bittschön in den nächsten zwanzig Minuten (dies ist jetzt nur ein Beispiel) zu beantworten seien. Ansonsten, das in Medienkreisen fast schon übliche Drohen, würde gedruckt. So geht man, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Presse, mit einem Staatsoberhaupt nicht um. Ja, es ist die Pflicht einer kritischen Presse, über Skandale und Affären zu berichten. Das ist selbstverständlich. Aber wo sind denn diese Affären im Falle Wulff konkret, wenn man einmal von einer Medienhysterie ohnegleichen absieht? Weder hat unser Staatsoberhaupt Frauen im Amtszimmer belästigt, noch kann man ihm bisher konkrete straffällige Handlungen nachweisen. Dafür sind immer noch die Gerichte zuständig und selbst Anfangsverdachte – die Betonung liegt auf Verdacht – eines Staatsanwaltes sind noch lange nicht weder Beweis noch Urteil. Urteile sprechen in Deutschland Vorsitzende Richter(innen)! Wulff wurde aber vorher systematisch vorverurteilt.

Journalistische Doppelmoral

Es kann doch kein Zufall sein, dass plötzlich in geballter Form ein privater Hauskredit, eine angebliche Zeitungsanzeige des Unternehmers Maschmeyer für ein Buch, bessere Plätze für Wulff in einem Flugzeug, die bereits bewiesene falsche Behauptung der kostenlosen Benutzung eines kleinen Geländewagens, verschenkte Kochbücher an Gäste des „Nord-Süd-Dialoges“, Berichte über einen Filmemacher (der in der Amtszeit von Christian Wulff als Ministerpräsident von Niedersachsen eine übrigens nicht in Anspruch genommene Bürgschaft für ein Projekt erhalten haben soll) und andere Dinge ausgegraben wurden. Dahinter steckte doch System, da wurde an niedere Instinkte auch des Neides appelliert. Da wurde der berühmte Nasendreck gesucht und anschließend als Sensation in den Medien verbreitet. Recherchiert haben Journalisten. Aber gerade Journalisten pflegen oft eine Doppelmoral; als Gradmesser der höheren Weihen über die wahre Richtigkeit der Welt. Journalisten, die oft gerne einen 15-prozentigen „Journalistenrabatt“ beim Neuwagenkauf billigend annehmen und andere unzählige Privilegien wie kostenlose Hotelunterkünfte (dann wird ein Hotel anschließend in der Regel gelobt) haben. Journalisten sind es, die mehrheitlich durchaus gerne „Pressereisen“, fast ein Kurzurlaub (auch in das entfernte Ausland), und Pressegeschenke annehmen: Ledertaschen, hochwertige Schreibgeräte, Anoraks, Weine usw.. Alles schon dagewesen. Wer überwacht eigentlich diese Spezies? Chefredakteure oder gar Verleger jedenfalls so gut wie nicht, denn Journalisten sind ja unabhängig durch die Pressefreiheit geschützt. Dies soll zwar auch so sein, aber hinter der Floskel „Unabhängigkeit der Presse“ kann man natürlich so gut wie alles verbergen.

Nein, die Attacken auf Wulff, losgetreten von einer Boulevard-Zeitung, riechen verdammt nach Kampagnenjournalismus. Ein Trommelfeuer sondergleichen. Es ist doch sonnenklar. Irgendetwas wird in der breiten Öffentlichkeit hängen bleiben, wenn man tägliche Balkenüberschriften liest. BILD gibt ja immerhin in einem „BILD-Recherche-Protokoll“, abgedruckt im Internet, zu, dass vor dem Bericht vom 13. Dezember 2011 im eigenen Blatt, BILD-Reporter monatelang Wulffs private Hausfinanzierung recherchiert hätten. Warum eigentlich und wie vermessen tritt ein Mitarbeiter der BILD-Redaktion im Bundespräsidialamt auf, wenn er – wie großzügig – dem Pressechef des Bundespräsidenten mitteilt, man könne die Nachricht zu Wulff noch einen Tag zurückhalten, aber länger nicht! Der Bundespräsident selbst war wohlgemerkt im Ausland. Es ist nicht die Aufgabe, etwa des BILD-Chefredakteurs, zu entscheiden, wer Bundespräsident sein darf und welcher Minister unbedingt bleiben soll und als „Sonnyboy“ hochgeschrieben werden muss. Wie war das nämlich mit Karl-Theodor zu Guttenberg und der BILD-Schlagzeile „Ja, wir stehen zu Guttenberg“? Und dies vor dem Hintergrund der Plagiatsvorwürfe, die schließlich dazu führten, dass zu Guttenberg der Doktortitel von der Universität Bayreuth aberkannt wurde. Wer stand wirklich noch hinter zu Guttenberg? Nicht das Volk, wie die Schlagzeile einsuggerieren sollte, sondern „abstimmende“ BILD-Leser. Angeblich, laut BILD, 87% (!) der Leser der Zeitung meldeten sich und wollten zu Guttenberg im Amt behalten, nachdem sie entsprechend mit Jubelstories, etwa mit einer Kolumne von Franz Josef Wagner, die mit „Lieber Dr. zu Guttenberg“ begann, versorgt wurden …

Auch die Politik zeigt sich von einer schändlichen Seite, wenn für Spitzenrepräsentanten unterschiedliche Maßstäbe gelten. Ausgerechnet ein Grünen-Spitzenpolitiker wie Cem Özdemir hat die Moralkeule gegen Wulff gezogen und dabei vergessen, dass er selbst einmal wegen Bonusmeilen und einem Kredit von dem PR-Berater Moritz Hunzinger für eine gewisse Zeit von der Bildfläche verschwand. Es führt auch nicht weiter, heute noch die Sozialdemokratie in NRW an die zu Zeiten des damaligen Ministerpräsidenten Rau bekanntgewordene sogenannte Flugaffäre und an Seilschaften zum verstorbenen langjährigen WestLB-Chef Friedel Neuber zu erinnern. Nur am Rande, auch diese Flugaffäre war maßlos übertrieben. Die Sache ist relativ einfach – wie gehen wir mit unseren führenden Repräsentanten um?

Mehr Gelassenheit täte gut

Wir müssen endlich einmal in Deutschland begreifen und lernen, dass bestimmte Funktionen und Berufe eben auch mit gewissen Vorteilen verbunden sind. Was geht die Öffentlichkeit ein Privatkredit des Ehepaares Wulff, auch zu besseren Konditionen, an? Und wenn deren Konditionen besser sind – na und? Wenn eine Bank, fern von Berlin oder Hannover, Wulff bessere Konditionen einräumte, dann wird deshalb die Bank noch lange keine staatlichen Vorteile erlangen können. Da gibt es sehr viele Behördeninstanzen. Wenn der amerikanische Präsident Urlaub auf Hawaii macht, dann fliegt er bevorzugt. Dies ist nun einmal so und warum soll es nicht so sein? Nur Menschen mit einem sehr ausgeprägten Neidgefühl können sich darüber aufregen. Über alle Dinge, die jetzt gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff ausgegraben wurden, würde man in den Vereinigten Staaten in der Öffentlichkeit nur müde lächeln. Ernst wird es dort erst bei sittlichen Verfehlungen. Unsere Spitzenrepräsentanten – der Bundespräsident eingeschlossen – sind im Vergleich zu den Repräsentanten im Ausland mit Privilegien eher bescheiden ausgestattet. Eine großartige Frau – voller Pflichterfüllung – ist die Queen als Staatsoberhaupt nicht nur des Vereinigten Königreiches, sondern auch z.B. von Kanada. Mit Verlaub – im Vergleich zur Honorierung der Königin (lange hatte sie sogar auf Staatskosten eine riesige Yacht) gehen unsere Bundespräsidenten am Bettelstab.

Nun wird die Justiz entscheiden, ob sich Bundespräsident Christian Wulff strafbar gemacht hat. Warten wir ab. Innerhalb kürzester Zeit hat es die Kulturnation Deutschland aber fertiggebracht, zwei Bundespräsidenten herauszukegeln. Wer will in unserem Lande eigentlich noch diesen Job? Darüber muss man einmal nachdenken.

Und den ehrenwerten Herrn Gauck kann man bereits jetzt schon bedauern – er ist halt nur zweite Wahl. Dies wollte die Bundeskanzlerin Gauck nicht antun, aber die inzwischen bedeutungslos gewordene FDP musste sich endlich, wie sie meinte, profilieren. Die Rechnung wird nicht aufgehen.

 

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag