Der neuen Außenministerin fehlt die politische Reife
Außenministerin Annalena Baerbock hat einen unglücklichen Start hingelegt! Es fehlen ihr außenpolitische Erfahrungen. Zusätzlich – so scheint es – hat sie wenige geschichtshistorische Kenntnisse zu den Themen Russland und China. Schließlich mangelt es der Newcomerin am notwendigen diplomatischen Gespür für Takt gegenüber wichtigen Partnerstaaten.
Beispiel China: Das Land richtet in wenigen Wochen die Olympischen Winterspiele in Peking aus. Und im Oktober 2022 wird ein besonderes deutsch-chinesisches Jubiläum gefeiert: den 50. Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen. Am 11. Oktober 1972 unterzeichneten die damaligen Außenminister Ji Pengfei (VR China) und Walter Scheel (Deutschland) in Peking das Dokument. Es war der Start zu einer beispiellosen – wohlgemerkt für Deutschland und China – Erfolgsstory!
Trotz aller gesellschaftspolitischen Unterschiede entwickelte sich im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland eine ungebrochen anhaltende echte Win-Win-Situation! In einem Umfeld der olympischen Winterspiele in Peking und des Jubiläums der diplomatischen Beziehungen, sollte daher die deutsche Außenpolitik keinen Streit mit Schuldzuweisungen verursachen. Daran hätte Baerbock bei ihren verbalen Attacken gegen China denken müssen. Dies konnte sie aber nicht, weil ihr – vielleicht noch – die politische Reife fehlt.
Bereits vor ihrer Vereidigung als Außenministerin benahm sich Deutschlands neue Chefdiplomatin gegenüber Russland und China wie der berühmte Elefant im Porzellanladen. Erstaunlich schnell zeigten sich dabei die politischen Defizite der Annalena Baerbock, denn die Beziehungen zu so wichtigen Staaten wie Russland und China müssen das gesamte Spektrum einschließlich der Wirtschaft und die damit verbundenen beiderseitigen Interessen widerspiegeln. Nun sollen sowohl Russland und China die neue deutsche Außenpolitik, die Härte von Annalena Baerbock, spüren. Ob Moskau oder Peking jetzt vor Angst in den Keller gehen, darf allerdings bezweifelt werden.
Start mit unfreundlichen Ankündigungen
Was ist passiert? Baerbock kündigte einen strengeren Kurs gegenüber Russland und China an. So soll das energiepolitische russische Großprojekt Nordstream 2 in seiner jetzigen Struktur nicht in Betrieb gehen, obwohl die Ostsee-Gasleitung nach einem schier endlosen Politpalaver inzwischen fertig ist. Angesichts der extrem steigenden deutschen Energiekosten bestraft sich Deutschland dann selbst. Offensichtlich hat sich Baerbock vor den US-Karren spannen lassen. Doch es ist auch ein offenes Geheimnis, dass sich die Außenministerin bereits als Grünen-Frontfrau gegen den Energieträger Gas, der klimapolitisch nicht vertretbar sei, ausgesprochen hat. Dabei gehören Gas und übrigens auch die Kernenergie zu den weltweit anerkannten umweltfreundlichen Energieträgern.
Und China? Das Land und seine politische Führung müssten, so Baerbock, die Spielregeln westlicher Werte (wie immer diese zu definieren sind) beachten, wenn z.B. ein Importverbot chinesischer Produkte aus seiner Region Xinjiang in die EU und insbesondere nach Deutschland vermieden werden sollte. Was soll diese versteckte Handelsdrohung der Außenministerin?
Sowohl Russland als auch China lehnen Vorhaltungen bzw. Belehrungen konkret aus Deutschland ab. Russland sieht aktuell ganz im Gegenteil seine eigene Sicherheit bei einer Installierung neuer westlicher Waffensysteme auf dem Gebiet der Ukraine gefährdet. Wie reagierten die Vereinigten Staaten bei einer vergleichbaren Situation 1962? Die damalige Sowjetunion installierte atomare Mittelstreckenraketen in Kuba Die Amerikaner fühlten sich vor ihrer „Haustür“ atomar bedroht. Zum Glück siegte die Vernunft. Russland kann daher heute die westliche Kritik bei seiner Ablehnung westlicher Waffensysteme in der Ukraine, im Vorhof Russlands, nicht nachvollziehen.
Auch China verbittet sich westliche Kritik als Einmischung. Beim Thema Menschenrechte verweist das Land darauf hin, dass China seit seiner Reformpolitik (im Westen unbestritten) hunderte Millionen Menschen aus der Armut geführt hat. Die sind praktizierte Menschenrechte zum Guten! Schließlich hat China historisch im Verlauf seiner langen und stolzen Geschichte mit dem „Westen“ nicht immer die besten Erfahrungen gemacht, wenn nur an die beiden Opium-Kriege im 19. Jahrhundert erinnert werden darf. Auch das deutsche Kaiserreich spielte beim so genannten Boxeraufstand in China eine bedenkliche Rolle (Beispiel die berühmte „Hunnen-Rede“ von Kaiser Wilhelm II bei der Verabschiedung eines Militärkontingentes nach China). Auch im 2. Weltkrieg wurde China durch die „Achsenmacht“ Japan (Achse Berlin-Rom-Tokio) bis 1945 in den Krieg gezogen. Jedes chinesische Schulkind sieht daher westliche Belehrungen mit sehr gemischten Gefühlen.
Insofern fehlt der neuen deutschen Außenministerin nicht nur das diplomatische Gespür gegenüber Russland und China. Sie unterschätzt offensichtlich die wirtschaftlichen Zusammenhänge und den globalpolitischen Einfluss. Immerhin ist China der größte Handelspartner Deutschlands. Russland wiederum als Energiegroßmacht ein wichtiger Lieferant Deutschlands mit Gas und anderen Rohstoffen. Globalpolitisch sind Russland und China als ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat in einer exponierten Position, weil sie im Sicherheitsrat bei allen UN-Beschlüssen ein Vetorecht haben.
Was bringt ein Konfrontationskurs gegen China?
Ein deutscher Konfrontationskurs ist z.B. gegenüber China selbst im EU-Kontext nicht realistisch. Zu eng sind inzwischen die wirtschaftlichen Verflechtungen. Die klimapolitischen Ziele der EU sind ohne China nicht umsetzbar. Auch die Rolle des Sports – Olympiaden, Weltmeisterschaften usw. – sollte nicht instrumentalisiert werden. Vier Gründe sprechen gegen eine Stigmatisierung Chinas.
Erstens: Ein Konfrontationskurs etwa mit einem Boykott der olympischen Winterspiele 2022 in Peking ist purer Aktionismus und in der breiten Öffentlichkeit, auch in Deutschland, nicht vermittelbar. Thomas Bach hat als IOC-Chef bereits frühere Forderungen einer Absage der Winterspiele in Peking abgelehnt. Das IOC sei keine Weltregierung und habe primär die Aufgabe, olympische Spiele im Geiste von Pierre de Coubertin zu organisieren. Dessen Leitgedanke als Begründer der modernen olympischen Spiele der Neuzeit war, Olympia als Instrument der Völkerverständigung zu sehen. Die politische Instrumentalisierung des Sports steht diesem Ziel entgegen und führt nicht weiter. Bereits frühere Boykott-Aufrufe waren entweder aus gesteuerten politischen Gründen leicht durchschaubar oder haben ihre Wirkung verfehlt.
Zweitens: China wird klimapolitisch gebraucht! Alle entsprechenden globalen Herausforderungen bei der Reduzierung von CO2-Emissionen sind auf den Feldern Energie- bzw. Stromerzeugung und Mobilität nur im engsten Einvernehmen mit China zu realisieren. Auch bei der Etablierung des Hoffnungsträgers E-Mobilität nimmt China eine Schlüsselrolle ein, weil der dortige Absatzmarkt über den Erfolg oder Flop der weltweiten Elektro-Strategie der Autoindustrie entscheidet.
Allein China stellt mit seinen – Stand heute – 1.420 Millionen Menschen deutlich mehr als ein Sechstel der gesamten Weltbevölkerung (7.951 Millionen). Die EU kommt mit ihren 27 Mitgliedsstaaten auf lediglich 447 Millionen Einwohner. Die USA haben 330 Millionen Einwohner und stehen damit, gemessen an der Einwohneranzahl, nach China und Indien an dritter Stelle. Dies heißt: alle klimapolitischen Bemühungen Deutschlands einschließlich der EU sind ohne China, Indien und die Vereinigten Staaten sekundär.
Drittens: China ist als Wirtschaftspartner und Absatzmarkt für Deutschland nicht mehr zu umgehen! Mit einem Handelsvolumen (Export und Import) in Höhe 249,9 Milliarden Euro ist China erneut im abgelaufenen Jahr 2021 der wichtigste Handelspartner Deutschlands gewesen. Allein das Exportvolumen der deutschen Wirtschaft nach China erreichte 2021 wieder 136,1 Milliarden Euro. Für zentrale Branchen der deutschen Industrie ist der Markt China inzwischen ausschlaggebend. Der BMW-Konzern verkauft mit seinen Marken jedes dritte Fahrzeug in China. Inzwischen verlagert BMW immer mehr Produktion – z.B. die Herstellung von Geländewagen – nach China. Ähnliche Entwicklungen gibt es bei Daimler und der VW-Gruppe, die sogar 40% seiner Fahrzeuge in China absetzt. Brutal gesagt: Ohne den Markt China könnte die deutsche Automobilindustrie ihre Tore schließen …
Doch nicht nur für die deutsche Automobilindustrie ist China unverzichtbar. So hat der weltgrößte Chemiekonzern, die BASF, in den entstehenden chinesischen Verbundstandort Zhanjiang (Guangdong) ca. 10 Milliarden US-Dollar Investitionssumme gelenkt. Produziert werden nach Fertigstellung des neuen Standortes neben technischen Kunststoffen thermoplastisches Polurethan (TPU). Das neue Werk wird in alleiniger Verantwortung der BASF entstehen. 2020 erzielte die BASF in China einen Umsatz von 8,5 Milliarden Euro (weltweit 59,1 Milliarden Euro). Für den BASF-Konzernchef Martin Brudermüller ist das China-Engagement der BASF geradezu zwingend. „Bis 2030 werden rund zwei Drittel des Wachstums der globalen Chemieproduktion aus China kommen“, sagte der Topmanager.
Viertens: Ein verschärfter Konfrontationskurs gegenüber Russland und China führt zu einer Achsenverschiebung in der politischen Geostrategie mit einer neu entstehenden Weltordnung. Russland und China rücken immer enger zusammen und bilden inzwischen ein Gegengenwicht zu den von den USA und UK geführten westlichen Bündnissen. Die Mega-Pipeline „Power of Siberia“ wurde z.B. zur Grundlage der energiepolitischen Partnerschaft zwischen Russland und China. Beide Länder umgehen inzwischen verstärkt den US-Dollar als Leitwährung, um finanzpolitischen Sanktionen der USA entgegenzuwirken. Beide Länder demonstrieren eindrucksvoll ihre Fähigkeiten, Großprojekte im Hightech-Bereich und in der Infrastruktur durch die Bündelung eigener Kräfte zu realisieren.
Partner oder Rivale
Ist China für Deutschland nun ein Rivale, der die deutsche Wirtschaft substanziell gefährdet? Natürlich nicht. China ist vielmehr ein wichtiger Partner: einerseits als bedeutender Absatzmarkt für deutsche Produkte und andererseits inzwischen auch bei zahlreichen Hightech-Segmenten ein Kooperationsteilnehmer im Engineering. So hat China jetzt erstmals das Pilotprojekt eines Thorium-Reaktors in Betrieb genommen. Diese Entwicklung eröffnet der deutschen Energiewirtschaft – neben der auszubauenden Wasserstofftechnologie – Chancen.
Davon profitiert Deutschland auch im globalen Wettbewerb. Doch Wettbewerb ist ein guter Wert und legt Kräfte frei für Innovationen; er inspiriert schließlich die Entwicklung neuer Produkte – siehe Thorium-Reaktor. China sieht in der Zusammenarbeit mit Deutschland eine Win-Win-Situation, bei der alle Beteiligten – auch Deutschland - Vorteile schöpfen. Natürlich profitiert China umgekehrt auch vom kaufkraftstarken Wirtschaftsraum der EU. Dennoch gehört den asiatischen Märkten, schon vom Anstieg der Verbraucher, die Zukunft. China ist insofern auch für die deutschen Unternehmen z.B. über das chinesische Jahrtausend-Projekt Belt & Road ein Einfallstor in diese Märkte. China entwickelt mit seiner Belt & Road Initiative bereits zahlreiche neue Entwicklungsmärkte. Aber das ist der Zweck funktionierender Handelsbeziehungen.
Zusammengefasst ist China ein eminent wichtiger Kunde und Partner Deutschlands und umgekehrt die EU für chinesische Produkte. Abschottungsstrategien passen nicht mehr in die Zeit und sind nicht zielführend. Dies sollte auch die neue deutsche Außenministerin wissen. Weil dies alles so ist und China für die Bewältigung der klimapolitischen Herausforderungen längst zum zentralen Partner wurde, sind die jüngst angedrohten Sanktionen, Olympia-Boykott-Drohungen oder Belehrungen gegenüber China (und Russland) kein vernünftiger Weg. Das politische Koordinatensystem hat sich verschoben. Deutschlands Außenministerin sollte daher auf dem internationalen Parkett ihre Erfahrungsdefizite ausgleichen.