Für Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder war die Sache schnell klar. Skitouristen und ein Hotelbesitzer im österreichischen Ischgl wurden für die Ausbreitung der Pandemie verantwortlich gemacht. Die Ereignisse in Österreich waren nicht zu rechtfertigen; für die dann folgende bayern- und deutschlandweite Ausdehnung der Pandemie war aber Ischgl nicht verantwortlich. Söder präsentierte sich jedoch als Macher – ganz im Stile eines Helmut Schmidt bei der Hamburger Flutkatastrophe 1962. Doch der Vergleich hinkt. Schmidt war damals an der „Wasserfront“, Söder redet und redet. Nachdem später zigtausendfache Corona-Test-Pannen bei Urlaubsrückkehrern ausgerechnet in Bayern publik wurden, kamen erneut Zweifel am Corona-Management auf. Vorher schon, als in der ersten März-Hälfte 2020 US-Präsident Donald Trump einen Einreisestopp für Reisende aus 26 Staaten des Schengen-Raumes (und damit auch aus Deutschland) anordnete, war die Wut in der deutschen Politik und bei der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (sie „missbillige“ die US-Maßnahmen) groß. Der Medienzorn auf Trump war gewiss und überlagerte die Richtigkeit seiner Entscheidung.
Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder schätzten das Virus unterschiedlich ein. Vor allem Markus Söder hatte nur einen Ansatz („solange es keinen Impfstoff gibt …“) und setzte vorwiegend auf Testen, Testen, Testen. Getan wurde in der Öffentlichkeit so, als ob jeder positiv getestete Bürger dem Tod geweiht sei. Tägliche Brennpunkte verkündeten quasi die Apokalypse. Die Kirchen, die eigentlich die biblische Botschaft „Fürchtet Euch nicht“ verkünden müssten, tauchten ab. Gottvertrauen sieht anders aus. Um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich gehört Corona zu den größten Herausforderungen nach dem 2. Weltkrieg; aber in Deutschland wurden den Menschen keine Perspektiven aufgezeigt. Eine notwendige Balance – einerseits Infizierte und andererseits Kollateralschäden durch „Lockdown und Shutdown“ – wurde vernachlässigt.
Kritiker wurden und werden schnell ins Abseits gestellt und als Corona-Leugner gebrandmarkt. Wenige hinterfragten in der Politik die wirtschaftlichen Auswirkungen mit unzähligen Dramen, indirekten Todesfällen und sozialen Verwerfungen. Der Graubereich falscher Tests – siehe unten – wurde ausgeblendet. Die häufigsten Todesfälle in Deutschland, nämlich Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs, wurden und werden nicht erwähnt. In Deutschland sterben jährlich über 225.000 Menschen an Krebs. Dagegen ist Corona, so böse sich das liest, noch überschaubar. Und was hat sich in der Krebsforschung seit der Entdeckung der Krankheitsursache – 1858 durch Rudolf Virchow – geändert? Ein finaler Durchbruch im Kampf gegen Krebs ist immer noch nicht gelungen. Natürlich soll und darf Corona nicht mit Krebs oder anderen Krankheiten aufgerechnet werden; jeder Todesfall ist ein Fall zu viel. Doch wir brauchen in Deutschland auch realistische Maßstäbe und Vorgaben für die Zukunft. Genau diese fehlen!
Die Politik muss Antworten auf Kritik haben
Man kann nicht alle 14 Tage neue wüste Szenarien verbreiten; etwa einen eventuellen Lockdown bis zum Sommer 2021 – unter Umständen bis zum Herbst. Oder vielleicht Reiseverbote erteilen – was auch schon vorgeschlagen wurde – und, und, und. Es sei denn, Deutschland soll Konkurs anmelden. Das Leben muss schließlich lebenswert weitergehen, die Menschen, die Unternehmen und die Wirtschaft allgemein müssen planen können. Zurecht übt der Virologe Prof. Hendrik Streeck – er ist kein Corona-Leugner und hat immerhin Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident und neuer Vorsitzender der CDU, beraten – Kritik an der Politik. Inzidenzwerte und Neuinfektionen-Zahlen seien keine sinnvollen Richtwerte allein. Notwendig sei daher ein Pandemie-Rat des Bundes mit Experten aus vielen Fachbereichen. Man müsse schließlich auch lernen, mit dem Virus zu leben.
Auch das derzeitige Schielen auf das Impfen könnte mit einer Enttäuschung enden. Was geschieht, wenn die Impf-Erwartungen nicht eintreten? Wollen wir dann wieder einen Lockdown bis zum jüngsten Gericht? Vorangetrieben müssen daher auch medikamentöse Behandlungen. Es muss gelingen, endlich Medikamente zur Behandlung bereits Infizierter auf den Markt zu bringen. Hier ist die Pharmaindustrie gefordert. Die Politik muss diesbezüglich Ziele definieren und entsprechende Projekte fördern. Nach einem Jahr Corona ist es höchste Zeit, endlich auch durch die Politik Perspektiven für die nahe Zukunft aufzuzeigen. Fehler sind genug gemacht worden. Wie lange soll der Wirrwarr mit Einschränkungen und Quarantäne-Regeln noch andauern?
Inzwischen hat sich in vielen europäischen Staaten die Stimmung verändert – auch in Deutschland. Die Bürger wollen klare Begründungen z.B. zu den verbreiteten Zahlen. Fast 90% der Corona-Toten sind in Deutschland über 70 Jahre alt, 69% sogar über 80 und fast ein Viertel der Toten waren 90 Jahre und älter. Viele Bürger fragen jetzt, wie die Todesursache Corona bei alten Menschen festgemacht wird. Die aktiv im Beruf stehende Altersgruppe zwischen 20 und 60 Jahren kommt gerade einmal auf eine Quote von 3,5% der in Deutschland gemeldeten Corona-Toten. Wer übernimmt in Deutschland die politische Verantwortung für das Impf-Chaos? Wer übernimmt die Verantwortung, wenn die deutsche Gesellschaft immer stärker infolge der Pandemie auseinanderdriftet? Deutschland war zu Beginn der Pandemie selbstherrlich, als ob „wir“ beim Management der Pandemie weltweite Spitze seien. Die Politik lobte sich voreilig selbst. Dabei haben z.B. die bevölkerungsreichen wirtschaftsstarken Hightech-Länder Japan oder Südkorea, gemessen an der Anzahl der Corona-Todesfälle, eine um Längen und Welten bessere Bilanz. In Neuseeland wurde Silvester 2020 bereits ohne Einschränkungen wie eh und je gefeiert. Und in der Impfbilanz befindet sich Deutschland (Geimpfte pro hundert Einwohner) unter ferner liefen. Ein Jahr Corona: In Deutschland wurden viele Fehler beim Kampf gegen die Pandemie begangen. Vorwiegend durch ein entstandenes Corona-Establishment. Im Einzelnen:
Erstens: Falsche Strategie in der Kommunikation und Information
Covid-19 wurde von Beginn der Pandemie falsch kommuniziert. Die Politik gab die Meinungs- und Deutungshoheit an das Robert-Koch-Institut (RKI) und an einzelne Virologen ab. Kritische Virologen, die die Strategie der Bundesregierung und „ihrer“ Virologen in Fragen stellten, waren (und sind) unerwünscht. Außer den theatralischen Pressekonferenzen einer weinerlich anmutenden Bundeskanzlerin mit Ankündigungen von Katastrophenszenarien, war wenig zu vernehmen. Mut machende Perspektiven waren ein Fremdwort, dafür vorwiegend Hiobsbotschaften. Anstelle die Corona-Kommunikation, eigentlich eine Sache der Regierungen, allumfassend vorzunehmen, vernahmen die Bürger täglich sich widersprechende Meinungen durch das inzwischen entstandene Corona-Establishment. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, dass die Bundesregierung die Entscheidungskompetenz über zu treffende politische Maßnahmen dem RKI und bestimmten Virologen überließ. Entsprechend groß war und ist das Durcheinander zwischen Bund und Ländern.
Zweitens: Maskenchaos
Noch im März 2020 berichtete die ARD-Tagesschau, dass die Bundesregierung „In der jetzigen Lage keine Notwendigkeit“ einer Maskenpflicht sehe. Es folgte eine Debatte über den Nutzen der Masken. In Wirklichkeit hat die Bundesregierung drei Monate lang versagt – Masken, selbst die zunächst getragenen einfachen Muster, fehlten an allen Ecken und Enden. Schließlich wurde eine allgemeine Maskenpflicht, zum Teil selbstgenähte Alltagsmasken – Muster ohne Wert – eingeführt. Jetzt erst, nach einem Jahr, kam die Bundesregierung auf die Idee, die medizinischen FFP2-Masken zur Pflicht zu machen.
Drittens: Testwahn und Testpannen
Insbesondere Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wollte mit Corona-Tests die Pandemie unter Kontrolle bringen. Es entstand ein regelrechter Testkult und andererseits fehlt dafür das Personal. Das Testen hat zu einer erheblichen Verunsicherung und einem Anstieg der „Infizierten“ beigetragen. Doch viele Infizierte waren keineswegs ernstlich krank und hatten noch nicht einmal Krankheitssymptome. Wo aber lag und liegt der „Graubereich“: was ist in Wahrheit „lediglich“ eine schlimmere Erkältung und wann liegt eine echte Covid-19-Erkrankung vor? Viele Tests waren (und sind vermutlich immer noch) falsch. Im bayerischen Taufkirchen im Landkreis Erding waren in einer Klinik von 60 Tests 58 falsch. Der Unternehmer Elon Musk berichtete andererseits von vier falschen Tests allein bei seiner Person. Bundesligafußballer haben die gleiche Erfahrung gemacht. Ebenfalls in Bayern waren laut ZDF (gewiss frei vom Verdacht des Corona-Leugnens) von einer Corona-Testpanne 10.000 Personen betroffen: ankommende Reisende an bayerischen Flughäfen wurden vom Ergebnis zu spät oder überhaupt nicht informiert. Durch die Tests schnellten die Zahlen der Infizierten logischerweise in die Höhe und diese Zahlen führten zu Entscheidungsprozessen. Den Wahn mit Zahlen allein, die nicht analysiert wurden und werden, sensibilisierte erstmals erfreulicherweise das Massenblatt „BILD“.
Anfang Mai 2020 sagte der Schweizer Pharmariese F.Hoffmann-La Roche (dazu reiste sogar Roche-Verwaltungsratspräsident Dr. Franz nach Penzberg) in Gegenwart von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder zu, in den bayerischen Standort über 500 Millionen Euro in den Ausbau der Fertigung diagnostischer Testgeräte zu investieren. Franz versprach einen Durchbruch bei der Corona-Bekämpfung durch frühe und wirkungsvolle Tests. Für Roche freilich auch ein Geschäft.
Viertens: Lockdown und Shutdown
Mit dem Lockdown, der Einschränkung des öffentlichen Lebens, und dem Shutdown, dem Produktionsstopp in Industrieunternehmen, wurde die Bevölkerung sensibilisiert. Die Menschen sollten den Eingriff in die Grundrechte akzeptieren. Im Vordergrund stand nicht mehr die Analyse über die Zahlen der Infizierten und über die Todesfälle (und vor allem welche Altersgruppen an Corona starben). Prägend wurde vielmehr eine Angstkultur, die leider von vielen Medien kritiklos mitgetragen wurde. Kollateralschäden wie verschobene Operationen, Defizite in der Ausbildung der schulpflichtigen Kinder durch das Herunterfahren eines geordneten Unterrichts, seelische ernste Störungen und Erkrankungen bis hin zum Suizid durch entstehende Existenzängste infolge des coronabedingten Verlustes der Arbeitsplätze – all dies wurde weitgehend ausgeblendet. Getan wurde so, als ob Deutschland alles im Griff hätte – doch wie das Impfchaos zeigt, praktiziert Deutschland ein geradezu katastrophales Corona-Management. Viele Unternehmen haben von den versprochenen Unterstützungen wenig gesehen.
Frühere starke Boomregionen, etwa der im Speckgürtel Münchens liegende Stadt- und Landkreis Erding, brechen inzwischen wirtschaftlich zusammen, weil die Gewerbesteuern drastisch zurückgehen. Der langjährige Wachstumsmotor Tourismusbranche inklusive Flugverkehr und Schiffsreisen liegt am Boden. Werften haben keine Aufträge. Große Airports als Jobmaschinen – dies war einmal! Hotels, Gastronomiebetriebe und Einzelhändler schließen ihre Betriebe und Geschäfte. Das Kongress-, Messe- und Tagungsgeschäft wurde bedeutungslos. Ohne den chinesischen Absatzmarkt wäre die frühere deutsche Vorzeigebranche Automobilindustrie am Ende (siehe unseren Beitrag "Die USA unter Joe Biden").
Selbst die Brauereien beklagen erhebliche Einbußen – die geschlossene Gastronomie und die fehlenden Volksfeste zeigen Wirkung. Andererseits kämpfen Dienstleister – Friseure beispielsweise – um ihre Existenz. Eine bundesweit tätige Friseurkette ging in die Insolvenz. Auf der Strecke bleiben immer Arbeitsplätze. Und auch die „Unterhaltungsindustrie“ (Konzertveranstaltungen) ist out. Ob dies alles künftig wieder überschaubar besser wird? Nur teilweise.
Fünftens: Impfstoff-Desaster
Insbesondere in der deutschen Corona-Strategie nimmt Impfen eine zentrale Bedeutung ein. Doch wir erleben ein beispielloses Versagen der deutschen Politik einschließlich der EU. Impfstoff fehlt in Deutschland z.B. im Gegensatz zum Vereinigten Königreich oder den USA hinten und vorn. Das Versagen hat zwei Namen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen. Das Dilemma war vorprogrammiert, als die Bundeskanzlerin ihren Gesundheitsminister düpierte und im Alleingang entschied, die Bestellungen des Impfstoffs für Deutschland der EU – ohne Not – zu übertragen. Die Begründung, einen „Impf-Nationalismus“ zu verhindern, war unsinnig, denn eine sicherheitsstrategische Frage, und Impfstoffe gehören dazu, muss immer auch im nationalen Interesse gesehen werden, ansonsten bräuchten wir ja keine Bundesregierung mehr. Dann könnte man genauso gut die Geschäftsbesorgung der Bundesregierung in Personalunion der EU übertragen …
Vielleicht zur Erinnerung: Bereits 2004 hat Frankreichs damaliger Staatspräsident Jacques Chirac bei der Gründung des Pharmariesen Sanofi (eine Fusion mit der Aventis SA – früher u.a. die deutsche Hoechst AG) darauf bestanden, dass der entstehende Pharmariese Sanofi aus sicherheitsstrategischen Gründen, ganz Grande Nation, ein französischer Konzern sein müsse. Deutschland hat zähneknirschend zugestimmt. Niemand hat in Deutschland damals von einem „Pharma-Nationalismus“ gesprochen. Es war auch keiner, denn gewisse Produkte liegen nun einmal im nationalen Interesse. Dies praktizieren eigentlich alle Länder – insbesondere Frankreich und die USA – so.
Der jetzt aufgetretene Streit über die Vertragsauslegung der Lieferung von Impfstoffen durch den britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca (Cambridge, UK) wird von Ursula von der Leyen hochgespielt, um vom katastrophalen Versagen der EU, für die sie als Präsidentin letztendlich die Verantwortung hat, abzulenken. Die EU hat auch bei der Bestellung von Impfdosen beim Mainzer Unternehmen BioNTech versagt. Auch BioNTech-Chef Ugur Sahin beklagte die zurückhaltende EU-Einkaufspraxis. Die USA hatten allein bei BioNTech/Pfizer schon im Juli 2020 die große Menge von 600 Millionen Dosen in Auftrag gegeben. Nicht nur die Springer-Presse kritisiert jetzt das deutsche Impfstoff-Desaster. Auch aus den Reihen des Koalitionspartners SPD hagelt es Kritik an Merkel & von der Leyen. So hat die Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig in der TV-Sendung „Illner“ der EU und indirekt der Kanzlerin vorgeworfen, die schlechte und mangelhafte Versorgung mit Impfstoff schön zu reden. Sie habe sich nicht vorstellen können, dass die EU und die Bundesregierung sich beim Impfstoff-Bezug regelrecht „verzockten“. Man wollte bauernschlau sein und am falschen Objekt Geld sparen, doch „jeder Landwirt im Kreis Heinsberg hätte besser verhandelt“, sagte der dortige Landrat Stephan Pusch (CDU) in einem Youtube-Video.
Deutschland gehört, wie „Steingarts Morning Briefing“ berichtete, mit 2,4 Impfungen zu den traurigen Schlusslichtern bei den erfolgten Corona-Impfungen pro 100 Einwohner. Großbritannien ist mit 11,3 Impfungen um Längen voraus, von Israel mit 49,1 Impfungen gar nicht zu reden; alle Zahlen beziehen sich auf den Stichtag 28.1.2021. Deutschland war übrigens – Stichwort fehlende Impfstoffe in Deutschland und medikamentöse Lösungen zur Pandemie-Bekämpfung – einmal die Apotheke der Welt, deren Ruf insbesondere von Bayer und Hoechst (heute ist Hoechst bei Sanofi aufgegangen) geprägt wurde.