Ein Redakteur des Magazins, immerhin lange ein deutsches Leitmedium, hat gelogen und Geschichten erfunden und sogar lt. der amerikanischen Botschaft in Berlin dadurch eine antiamerikanische politische Stimmungsmache verursacht. Jedenfalls verlangte deshalb US-Botschafter Richard A. Grenell in einem Schreiben an den SPIEGEL eine unabhängige Untersuchung. Die publik gewordenen Lügengeschichten im SPIEGEL sind, weit über das Hamburger Magazin hinausgehend, in der Tat ein Super-Gau für die gesamte deutsche Medienbranche. Wo war die seriöse Gegenrecherche? Die SPIEGEL-Chefredakteure Klusmann und Kurbjuweit griffen zu dummen Worthülsen, die wir auch von Parteien kennen, wenn sie Wahlen verloren haben: „Wir haben verstanden“. Was bitteschön, haben die Herren verstanden? Darf es etwas konkreter sein? Gibt es einen Graubereich oder eine Dunkelziffer? Gibt es diese Dunkelziffer auch außerhalb des SPIEGEL? Sind die jetzt bekannt gewordenen Täuschungen nur die Spitze des Eisberges?
Jahrelang war der erfindungsreiche Claas Relotius beim SPIEGEL Reporter und später als Redakteur beschäftigt. Er schrieb zum Teil herzzerreißende und mitleiderregende Geschichten, mit denen die Deutschen und die Politik sensibilisiert werden sollten. Freilich – wie die SPIEGEL-Chefredakteure in einer Stellungnahme betonen – hatten die Storys einen entscheidenden Nachteil. Sie enthielten erfundene Passagen. „Er schrieb über Leute, die er nicht getroffen oder sogar erfunden hatte, er beschrieb Szenen, die es so nie gab“, so die Chefredakteure kleinlaut. Nachdem die Märchen aufflogen, bleibt mit einem Wort nur eine Würdigung: Fake-News auf der ganzen Linie.
Ausgerechnet Fake-News - mit diesem Begriff wollten die Tugendwächter in den Redaktionen – nicht nur beim SPIEGEL – den Begriff „Lügenpresse“ ins Reich der Fabelwelt der „Populisten“ verdammen. Und die honorige Gesellschaft um die Medien? Zumindest waren die hochkarätigen Damen und Herren der Jury beim Votum zum „Deutschen Reporterpreis 2018“, den Relotius erhielt, blauäugig und naiv. Oder sie rannten dem Mainstream des SPIEGEL nach. Was dort steht, muss doch von vornherein die „höheren Weihen“ haben. Über die zahlreichen erfundenen Geschichten des Claas Relotius wurde hinreichend – nicht zuletzt im SPIEGEL selbst – berichtet. Wir müssen sie daher hier nicht erneut aufzählen. Die Peinlichkeiten sind schlimm genug. Es geht jetzt um die grundsätzliche Frage zum Zustand der deutschen Medien, der jetzt generell hinterfragt werden muss.
Leider eine symptomatische Entwicklung
Natürlich gab es schon immer Einzelfälle, mit denen Verlage und Medien gelinkt wurden, wenn nur an die gefälschten angeblichen „Hitler-Tagebücher“ erinnert werden darf, mit denen der „STERN“ 1983 den absurden Anspruch erhob, die Geschichte neu zu schreiben. Doch seit Jahren vermengen immer öfters Redaktionen – egal ob in Printmedien oder im Fernsehen und Rundfunk – die saubere Trennung von Bericht und Kommentar. Und, viel schlimmer, sie vernachlässigen ihren eigentlichen Auftrag als Wächterinstanz mit der ständigen kritischen Hinterfragung von Entwicklungen.
Ein Mannheimer Zeitungsverleger hat sich zum Thema Zukunft der Zeitungen einmal in einem Interview so geäußert: „Die Zeitung wird die vierte Kraft im Staat bleiben – nach der Legislative, Exekutive und Judikative“. Und genau dies ist der falsche Anspruch, denn Zeitungen haben keinen Kraftanspruch zu erfüllen, schon gar nicht den einer vierten Gewalt; sie müssen in erster Linie kritisch hinterfragen, ob Meldungen des Zeitgeistes überhaupt stimmen. Ein Beispiel: Nicht das publizistische Nachplappern etwa „Stinker und Luftverpester Diesel“, der für Tausende Todesfälle verantwortlich sei, ist notwendig, sondern die Frage, ob die Behauptung wissenschaftlich überhaupt stimmt oder nur autofeindliche Ideologie ist.
Denn die angeblich heute so unsaubere Luft war noch vor wenigen Jahrzehnten in der Tat aufgrund fehlender Filter und Reinigungsanlagen in Industrie- und Kraftwerksanlagen beklagenswert. Als langjähriger Bewohner der Region Mannheim/Ludwigshafen weiß der Autor dieses Beitrages, von was er spricht. Es roch dort „dank“ der ortsansässigen Großchemie und Zellstoffherstellung nach allem Möglichen, einmal süßlich nach „Backpulver“, dann wieder nach Schokolade oder nach ätzender Chemie. Gelegentlich war die Luft Auslöser unerträglicher Kopfschmerzen. Alles Vergangenheit. Selbst das Umweltbundesamt hat den enormen Rückgang der Emissionen in Deutschland in den letzten Jahren bestätigt (siehe Homepage UBA). Machen sich daher Redaktionen zum Büttel selbsternannter kleiner Nichtregierungs-Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe (die ihre Bedeutung mit Unterstützung der Medien hochspielt), wenn sie kritiklos die Mär der unsauberen Luft übernehmen?
Woher kommt die fehlende kritische Überprüfung in den Redaktionen? Kurz gesagt: Es gibt keine klassischen Verleger vom Format der Nachkriegszeit mehr. Diese achteten auf das Profil ihrer Medien und Redaktionen. Zu nennen wären Axel Springer, Rudolf Augstein, Gerd Bucerius, Henri Nannen oder Karl Gerold. Es waren leidenschaftliche Verleger und Blattmacher, die ihren Zeitungen und Zeitschriften mit eigenen Beiträgen ihren Stempel aufdrückten. Es waren Verleger, die zwar auf journalistische Freiräume achteten, aber auch über die politische Richtung ihrer Medien wachten. Heute lenken die Verlage überwiegend angestellte Geschäftsführer, für die das Profil und die Kompetenz der Redaktionsmitglieder nicht im Vordergrund stehen. Die Folge: Redaktionen toben sich aus und pflegen in erster Linie einen Gesinnungsjournalismus.
Gesinnungs- und Betroffenheitsjournalismus
Die Medien – siehe jetzt beim SPIEGEL – vernachlässigen zum Teil ihre Sorgfaltspflicht bei der Prüfung der Storys und Meldungen auf Richtigkeit. Zu kurz kommen dann Wahrheitsgehalt und Hintergründe der Geschichten. Das redaktionelle Personal in vielen deutschen Redaktionen unterliegt oft in einer ideologischen Voreingenommenheit einem Gesinnungsjournalismus. Bericht und Meinung werden verwässert. Parteiische und ideologische Journalisten pflegen einen Betroffenheitsjournalismus, wenn sie eine Sache zu ihrer eigenen machen bzw. mit ihr sympathisieren. Wer 2015 beim unkontrollierten Öffnen der Grenzen, kritische Fragen stellte, etwa ob ein massenhafter unkontrollierter Zustrom von Menschen aus anderen Kulturkreisen die Gesellschaft überfordern und spalten könnte, war Populist und Verschwörungstheoretiker, im schlimmsten Fall ein Hetzer. Journalisten mutierten zum „Gutmenschen“. Die Mär von den syrischen Ärzten, von denen sich die Politik längst wieder verabschiedete, haben Redaktionen kritiklos übernommen. Eine Kontrolle der Politik – im Parlament war de facto keine Opposition vorhanden – durch die Medien, und das wäre ja ihre Aufgabe, gab und gibt es teilweise immer noch nicht.
Unselige Entwicklungen wurden nebensächlich behandelt oder ausgeblendet. Die zeigte sich auch bei politischen Bewertungen etwa der Präsidenten Putin und Trump. Wer hat sich in deutschen Medien die Mühe gemacht, die Ursachen der Krim-Entwicklung in der Ukraine eigentlich historisch zu analysieren und zu hinterfragen? Wer konnte von den Journalisten/innen den Begriff „Kiewer Rus“ – der bereits im Mittelalter gemeinsame Staat Russland, Ukraine und Weißrussland - einordnen? Offensichtlich wenige. Ist deutschen Redaktionsstuben der „Vertrag von Perejaslaw“ von 1654, mit dem die Ukraine einen Treueeid auf den Zaren Alexei I leistete, der umgekehrt den Schutz der Ukraine garantierte, ein Begriff? Die Krim wurde erst 1954, unter anderen Voraussetzungen der damaligen zentralen Sowjetunion, durch Nikita Chrustschow formal der Ukraine zugeschlagen, nicht geschenkt. Dies war ein symbolischer Akt und hatte keine Auswirkungen, weil die Ukraine Bestandteil der damaligen UdSSR gewesen ist. Keineswegs kam die Ukraine – die Krim ohnehin nicht – erst unter Lenin oder Stalin zur Sowjetunion. Sie war z.B. schon um 1900, da hatte das russische Zarenreich die größte geographische Ausdehnung, Bestandteil Russlands. Aber die deutschen Medien waren – und sind sich – in der politisch vorgebeteten Meinung einig, dass Russlands Präsident Wladimir Putin der Aggressor bei der 2014 erfolgten Integration der Krim in die Russische Föderation gewesen sei. Wer differenzierter sich meldete, war auch in der Sicht der Medien ein Russland- oder Putin-Versteher.
Verrohung der guten Sitten in den Medien
In Sogwirkung zum Gesinnungsjournalismus ist eine erstaunliche Verwahrlosung der sprachlichen Kultur in Zeitungen und Zeitschriften – im Fernsehen und Rundfunk ohnehin – zu registrieren. Die Wortwahl selbst in vermeintlich seriösen Medien ist teilweise unterste Schublade dar. So ließ es die FAZ im August 2015 zu, dass im Beitrag „Das Geheimnis des Trumpismus“ der Schreiber Donald Trump u.a. als „Ekelpaket erster Klasse“ bezeichnete. „Die Zeit“ titulierte andererseits Trump als „Horror-Clown“. Bei einem Empfang des russischen Präsidenten Putin für verdiente Spieler des Weltfußballs, begrüßte der Präsident natürlich seine Gäste per Handschlag – so auch Lothar Matthäus. Doch dies gefiel BILD-Chefredakteur Julian Reichelt nicht. Er kritisierte Matthäus, weil dieser „keine blutigen Hände“ schütteln sollte. Und, so erfuhr die erstaunte Öffentlichkeit von Reichelt, „wir“ seien bei der WM „Gast bei einem Mörder, bei Wladimir Putin“ gewesen. Was soll man zu einem derartigen Stil sagen? Kritik in Kommentaren ist die eine Seite, Wortwahl und Stil die andere.
Graubereich Auslandskorrespondenten
Einen Graubereich stellen Auslandskorrespondentenbüros der Medien dar. Es gibt hervorragende Auslandskorrespondenten(innen). Aber leider musste z.B. die ARD schon falsche Bilder und Meldungen richtig stellen. Berühmt berüchtigt wurde eine Falschmeldung des ehemaligen Moskau-Korrespondenten Udo Lielischkies, demnach in der Ostukraine russlandfreundliche Separatisten Anwohner in Krasnoarmeysk getötet hätten, eine offensichtliche Falschmeldung, wie sich herausstellte. Wenigstens hat die ARD später den Bericht zurückgezogen und der damalige Tagesthemen-Moderator Thomas Roth entschuldigte sich vor laufender Kamera. Eine unrühmliche Rolle spielten auch die Korrespondentenbüros der deutschen Fernsehanstalten für die USA. Erkennbar gehörte deren Sympathie beim letzten US-Präsidentenwahlkampf Hillary Clinton. Entsprechend waren die Berichte. Donald Trump war – schon während der Vorwahlen – der neue „Lieblingsfeind“ der deutschen Medien. Nach seinem Sieg wurden alle möglichen und unmöglichen Anschuldigungen plakativ zu Lasten von Trump ausgebreitet. Nur so viel: wenn es nach gewissen deutschen Korrespondentenmeldungen ginge – bereits im ersten Jahr der Präsidentschaft –, müsste Donald Trump schon längst amtsenthoben sein.
Vertuschen hilft nicht weiter
Die Medien müssen aufpassen. Sie dürfen nach dem SPIEGEL-Skandal nicht den Rest ihrer Glaubwürdigkeit verspielen. Redaktionsmitglieder haben noch nicht bemerkt, dass die Öffentlichkeit auf ihre Leistungen nicht mehr angewiesen ist. Vertuschen, Verdrehen oder das Weglassen unangenehmer Meldungen hilft nicht weiter. Betroffenheits- bzw. Gesinnungsjournalismus entlarvt sich schnell. Über soziale Medien tauschen sich die Menschen blitzschnell aus. Gewiss ist in der abgekürzten „Twitter-Welt“ viel Unsinn dabei: Fake News. Die klassischen Medien – siehe SPIEGEL – befinden sich also in „bester“ Gesellschaft… Und die anspruchsvollen Leserinnen und Leser? Zum Glück können sie auf Medien wie die „Neue Zürcher Zeitung“ – im wahrsten Sinne aus deutscher Sicht ein neutrales Blatt – ausweichen. Eine traurige Entwicklung, denn Deutschland war einmal eine führende Zeitungsnation.