EU und Europa sind zwei Paar Stiefel
Der große Kardinalfehler vieler westeuropäischer Regierungen – und insbesondere auch der EU in Brüssel – besteht darin, eine berechtigte Kritik an einer zu unausgewogenen und selbstherrlichen EU hinweg zu wischen. Und dies mit dem Argument, Europa sei ein Friedensmodell und daher ohne Alternative. Dies stellt doch niemand in Abrede. Wenn die Bürger unselige EU-Strukturen kritisieren, sind sie nicht gleichzeitig per se gegen Europa! Ganz im Gegenteil. Natürlich ist ein einiges, nicht als Staatsvolk künstlich zusammengespanntes Europa – dazu sollte übrigens, wenn schon denn schon, auch Russland gehören – eine schöne Sache und selbstverständlich ist ein großer europäischer Binnenmarkt für die Wirtschaft attraktiv. Dies ist doch überhaupt keine Frage. Muss dieser europäische Binnenmarkt aber in ein Korsett aus Brüssel eingezwängt werden? Muss die EU in einer übertriebenen Regulierungswut den Menschen vorschreiben, was sie beim Wochenendausflug mit welch einem Besteck zu essen haben und wie sie individuell mobil sein sollen? Muss diese EU eine deutsche Automobilindustrie zerstören, nur weil Brüssel keine Balance zwischen Ökonomie und Ökologie findet?
Man kann es auch anders sagen: Europa war mit der früheren EWG und der EG, dem eigentlichen Vorgängerkonstrukt der EU, schon besser organisiert und in der Freiheit der Menschen liberaler. Auch war übrigens zu EG-Zeiten, und da ohne den Euro, Deutschland schon Exportweltmeister, was heute vergessen wird. Verschwiegen oder in den Medien ausgeblendet wird gerne auch die Tatsache, dass aktuell höchst erfolgreiche EU-Mitgliedsstaaten wie Schweden und Dänemark mit ihren zahlreichen Weltfirmen eben nicht zur Eurozone gehören. Ein gutes Beispiel ist Schweden (Volvo Group, Ericsson, SKF, Atlas Copco, Sandvik, der schwedische Bauriese Skanska, um nur wenige global tätige schwedische Weltplayer zu nennen). In Deutschland redet man hingegen den Bürgern immer ein, dass der Euro die Voraussetzung für den Erfolg der deutschen Unternehmen sei. Dabei wird der Euroraum gerne mit dem EU-Binnenmarkt verwechselt.
Gewiss ist der Euro vor allem aus touristischer Sicht eine angenehme und bequeme Sache, wenn etwa die Deutschen in Madrid, Rom, Paris, Wien oder Amsterdam mit einer gemeinsamen Währung, dem Euro, die Rechnung im Restaurant bezahlen können. Dies ist die eine Seite, aber der Euro ist nicht die Voraussetzung für die Exportfähigkeit der deutschen Unternehmen, ganz abgesehen davon, dass die Welt-Leitwährung nach wie vor der US-Dollar ist. Einige Länder kommen aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur mit dem Euro nicht zurecht, wie so deutlich dass Beispiel Griechenland zeigt. Die Griechen konnten „früher“ ihre Drachme mit Auf- und Abwertungen anpassen und somit die Exportfähigkeit der griechischen Wirtschaft korrigieren, denn je günstiger die Drachme gegenüber dem Euro stehen würde, desto besser für die griechischen Unternehmen.
Die Unausgewogenheit der Wirtschaftsstärke verschiedener EU-Länder im Euroraum führte letztendlich auch dazu, durch das EU-Anhängsel EZB eine Niedrigzinspolitik einzuführen, damit Länder wie Griechenland durch die Zinslast nicht erdrückt werden. Dies wiederum hat Auswirkungen auch auf die deutschen Sparer, die seit Jahren auf ihre Sparguthaben keine vernünftigen Zinsgutschriften mehr erhalten. Es ist also verdammt viel Reformbedarf in der EU vorhanden.
Europa ist nicht Amerika
Es war der große Trugschluss bei der Ausgestaltung der EU-Verträge (leider haben diesen Fehler Helmut Kohl und Francois Mitterand bei ihrer gutgemeinten Idee begangen), deren Konstruktion an das Modell der „United States of America“ anzulehnen. Doch die USA sind ein riesiges homogenes und strukturell junges Land mit einer den gesamten Bundesstaat umfassenden und verbindenden englisch-amerikanischen Sprache. Wer mit dem Auto von New York die enorme über 4.700 Kilometer lange Strecke nach San Francisco bewältigen will, durchfährt zahlreiche US-Staaten wie Illinois, Iowa, Nebraska, Wyoming, Utah, Nevada oder Kalifornien, um nur einige zu nennen. Aber er bewegt sich immer in einem überlappenden amerikanischen Kulturraum des „American Way of Life“ mit den Werten der unbegrenzten Möglichkeiten und einer grenzenlosen Freiheit und Individualität: This is America!
Wer hingegen in Europa von Warschau nach Paris mit seinem Fahrzeug reisen will, durchfährt auf einer – im Vergleich zur Strecke New York – San Francisco – relativ bescheidenen Entfernung mehrere Kultur- und Sprachräume, vom slawisch geprägten Polen über Deutschland bis zum romanischen Frankreich. Noch extremer ist die Situation in der Nord-Süd-Achse. Zwischen Finnland und dem mediterranem Italien liegen nicht nur kulturell Welten.
Alle EU-Zentren im Dreieck Benelux-Frankreich – warum eigentlich?
Über verschiedene historisch gewachsene Kulturräume, lässt sich daher kein Zentralstaat unter Einschluss der osteuropäischen Länder aufbauen. Auch entstanden die heutigen EU-Zentren in Brüssel, Straßburg und Luxemburg (Europäischer Gerichtshof) unter völlig anderen politischen Ausgangslagen mit dem damals noch vorhandenen „Eisernen Vorhang“. Warum soll heute, in einer völlig sich geänderten geographischen EU, alles in einem kleinen westeuropäischen Dreieck – das bei der Gründung der EWG durchaus seine Berechtigung hatte – beheimatet sein? Warum kann man den Europäischen Gerichtshof nicht von Luxemburg in das heutige europäische Zentrum, dies wäre beispielsweise geographisch Prag, verlagern? Dies wäre mehr als nur ein Symbol für die Osteuropäer. Bisher hat keine einzige wichtige europäische Institution in Osteuropa ihren Sitz. Die EU in ihrer jetzigen Ausgestaltung kann nicht funktionieren. Vielvölkerstaaten mit verschiedenen Kulturen, dies zeigte das Beispiel der Habsburger Doppelmonarchie (Österreich, Ungarn, Tschechien, einige Balkanländer, Teile von Polen und Oberitalien mit Triest), funktionieren nicht, schon überhaupt nicht heute unter einem von Brüssel vorgegebenem Zwang.
Die EU muss reformiert werden. Sie muss weg vom Anspruch eines Ober- und Verteilungsstaates. Eine Transferunion, mit der einige Staaten ihre strukturellen Probleme lösen wollen, wird keine Akzeptanz finden. Dies muss auch der derzeitige französische Staatspräsident Macron einsehen. Das Land lebt mit verschiedenen Programmen wie Force de frappe über seine Verhältnisse und belastet dadurch die innenpolitischen Verhältnisse. Die Ereignisse in Frankreich mit der Bewegung der „Gelbwesten“ sind geradezu abstoßend. Selten hatte die Politik in Frankreich (die „Grande Nation“ hat ja immerhin einen führenden EU-Anspruch) eine derartige Ablehnung durch seine Bürger! Die EU soll durchaus, reformiert bitte, bestehen bleiben – als Wirtschaftsraum und Zollunion! Die derzeitige EU verliert an Zustimmung der Bürger, weil sie ein erbärmliches Bild abgibt: Streitereien wohin man blickt – innenpolitisch bürgerkriegsähnliche Zustände in Frankreich, Zwist der EU mit Italien, mit Ungarn, mit Polen und letztendlich mit Großbritannien. Noch sind die Briten ja – Stand heute – dabei und wählen vermutlich in vier Wochen das 9. EU-Parlament mit. Es wird noch spannend werden!