Ein erbärmliches Bild
Europa vor der Wahl
In vier Wochen wird das 9. Europäische Parlament gewählt. Doch wie und wen sollen die Europäer wählen? Die Verdrossenheit ist bei den Menschen in Europa groß, denn die EU – wohlgemerkt nicht generell Europa – gibt derzeit ein geradezu jämmerliches und wenig attraktives Bild ab. Die EU selbst hat sich als unfähig erwiesen, zum Beispiel die Migrationskrise einvernehmlich zu managen. Die von der deutschen Bundeskanzlerin 2015 losgetretene völlig ungeordnete und auch unsinnige Willkommenskultur hat zu einer europaweiten Kritik der Bürger, keineswegs nur in Deutschland, und zu einer gefährlichen Identitätskrise geführt, die weder etwas mit Fremdenfeindlichkeit noch mit Rechtspopulismus zu tun hat. Dies hat das Beispiel des Brexit gezeigt. Die Briten, traditionell ein aufgeschlossenes Volk fern vom Rassismus, haben im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriegen die Fahne der Freiheit auch für Frankreich und die Benelux-Länder hochgehalten. Sie brauchen daher keine Belehrungen von einer Oberinstanz einer EU-Kommission. Sie wollten und wollen aber von ihrem „Hausrecht“ Gebrauch machen und keine quasi von Brüssel „befohlenen“ Schlüsselzuweisungen in der Migrationskrise umsetzen. Die Briten wollten vor allem keine EU, deren Richtung weitgehend von Frankreich und Deutschland bestimmt wird.
Hessen nach der Wahl: Alles hat seine Zeit
Der Kessel hat längst Überdruck
Das hat das wirtschaftlich so starke Hessen nicht verdient! Bereits einen Tag nach der Hessischen Landtagswahl, mit einem nach Bayern erneuten Desaster für die klassischen Volksparteien, dominieren in den Medien ganz andere Schlagzeilen, nämlich die Ankündigung der Angela Merkel, nach 18 Jahren den Parteivorsitz der CDU abzugeben. Das hessische Wahlergebnis mit dramatischen Einbrüchen für CDU und SPD verkümmert fast zur Nebensache. Die SPD wurde sogar im jahrzehntelang „roten Hessen“ von den Grünen – geringfügig zwar – überholt und erreichte lediglich noch eine Zustimmung von 19,8%. Man muss sich dies einmal vorstellen: Die SPD regierte Hessen – zum Teil mit absoluten Mehrheiten – von 1945 bis 1987 und dann wieder von 1991 bis 1999. Allein der legendäre verdienstvolle Sozialdemokrat Georg-August Zinn stand an der Spitze von 5 hessischen Landesregierungen. Hessen, das war jahrzehntelang das rote Gegenmodell zu den schwarzen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern. Genauso dramatisch wie der schleichende Niedergang der verdienstvollen Sozialdemokratie war jetzt in Hessen natürlich das Abschneiden der CDU. Sie verlor gegenüber der Wahl 2013 sogar 11,3% Landesstimmenanteile und kam lediglich noch auf 27%. Dank dem guten Abschneiden der Grünen, die um 8,7% auf 19,8% zulegten, könnte es noch – gemessen an den Mandaten – zu einer hauchdünnen Regierungsmehrheit (69 Mandate im neuen Landtag) für schwarz/grün reichen. Dennoch muss Volker Bouffier (CDU) sogar zittern, denn die gleiche Anzahl von Mandaten können auch die Grünen zusammen mit der SPD und der FDP auf sich vereinigen. Die Verlockung für die Grünen, nach Baden-Württemberg in einem weiteren bedeutenden Land den Ministerpräsidenten zu stellen, ist da und dies stärkt nicht unbedingt die Verhandlungsposition der hessischen CDU, wenngleich das Verhältnis Bouffier zu dem Grünen Tarek Al-Wazir (bisheriger Partner von Bouffier in der Landesregierung) als ausgesprochen gut gilt. Dass ein derartiges Wahlergebnis auf die ohnehin angeschlagene Groko in Berlin dramatische Auswirkungen haben würde, war auch klar. Das politische Beben deutete sich schon nach der Wahl zum Bayerischen Landtag – 14 Tage vorher – an. Aber mit Rücksicht auf die Hessenwahl blieben die Messer noch verborgen.
Bayern nach der Landtagswahl 2018
Ein Beben – wo bitte? Bayern ist nach wie vor strukturell ein „schwarzes Land“
Nach den ersten Prognosen und Hochrechnungen zur Landtagswahl in Bayern überschlugen sich viele Medien. Ein politisches Beben sei durch den weiß-blauen Freistaat gefegt. Doch dies stimmt nur bei einem oberflächlichen Blick. Die CSU hat zwar erwartungsgemäß die Alleinherrschaft verloren, aber Bayern bleibt tiefschwarz, wenngleich die CSU lediglich noch 37,2% Zuspruch erhielt. Aber nicht nur die CSU wurde abgestraft. Schlimmer traf es die einst stolze und traditionsreiche bayerische Sozialdemokratie. Die Partei eines Wilhelm Hoegner (er war der einzige von der Sozialdemokratie gestellte Ministerpräsident Bayerns) und Volkmar Gabert, der 1966 mit 35,8% das beste SPD-Ergebnis in Bayern erreichte, verkümmert jetzt in Bayern mit beschämenden 9,7% eigentlich zur unbedeutenden Sektiererpartei. Die SPD, traditionell immer die zweitstärkste Kraft im Bayerischen Landtag, nimmt jetzt nach der 18. Landtagswahl seit Ende des 2. Weltkrieges nur noch den beschämenden fünften Platz im Maximilianeum ein. An einer derartigen Entwicklung können selbst die traditionellen politischen Konkurrenten – z.B. die CSU – nicht interessiert sein.
Eine Regierungsbildung muss nach Wahlen den Volkswillen widerspiegeln
Notwendig wäre ein neues Wahlsystem und kein chemisches Element mit Feuer und Wasser als Koalition
Im Oktober 2018 wählen die Bayern und Hessen neue Landtage. Doch wer letztendlich anschließend – und in welch einer Koalition – regiert, ist eine offene Frage. Denn was im Bundestag schon Realität ist, wird sich immer stärker auch in den einzelnen Bundesländern fortsetzen, nämlich die Zersplitterung des Parteienspektrums. Das Parteiensystem ist in Deutschland im Wandel. Derzeit sind sieben Parteien im Deutschen Bundestag vertreten. Vorbei sind die Zeiten mit drei (Union, SPD, FDP) und später mit vier Fraktionen (Unionsparteien, SPD, FDP und Grüne). Etabliert hat sich bundesweit inzwischen „Die Linke“ und auch die AfD. Nachdem offensichtlich längerfristig aufgrund ihrer verschiedenen Ausrichtungen auch die Unionsparteien – die CDU entwickelte sich unter Angela Merkel zur SPD-Light, während die CSU „noch“ die konservative Fahne hochhält – getrennte Wege gehen, könnten sich sieben Fraktionen auch im Bundestag bilden. Derzeit sind es schon sechs. Da, wie in der Vergangenheit üblich, selbst Zweierbündnisse und inzwischen sogar Große Koalitionen (die vermutlich künftig keine „große“ Koalitionen mehr sind) für eine Regierungskoalition nicht mehr ausreichen, wird es aus Gründen des puren Machterhalts des Establishments die „seltsamsten“ Dreierkoalitionen geben. Das ist dann – Franz Josef Strauß sagte es einmal – so, wie wenn sich Feuer und Wasser zu einem gemeinsamen chemischen Element vereinigen sollten.
Die traditionellen Parteien stehen vor einem Scherbenhaufen
Machtteilhabe um jeden Preis – und sei es beim größten Chaos
Die traditionellen Parteien, die nach dem 2. Weltkrieg die politische Landschaft in der „alten“ Bundesrepublik gestalteten (Unionsparteien, Sozialdemokratie und Liberale), stehen vor einem riesigen Scherbenhaufen. Dabei stellten einst die Union und die SPD so auch weltweit angesehene Kanzler wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl. Vergangenheit! Leider befindet sich insbesondere die SPD als älteste deutsche Partei nach den neuesten Umfragen mit einem bundesweiten Anteil von ca. 17% auf dem Wege zur Bedeutungslosigkeit und die Unionsparteien (CDU und CSU) werden vermutlich nach den für sie mit Sicherheit katastrophalen Wahlen im Oktober 2018 in Bayern und Hessen künftig bundesweit getrennte Wege gehen bzw. die Fraktionsgemeinschaft auflösen. Was vor einigen Wochen fast schon Realität war und nur noch verschoben wurde, wird nach Bayern und Hessen wohl nicht mehr zu vermeiden sein, die Auflösung der Ehe!