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Die Entwicklung nach dem Sturz Mubaraks könnte in Ägypten aus dem Ruder laufen:

Die Entwicklung nach dem Sturz Mubaraks könnte in Ägypten aus dem Ruder laufen: US Army

Demokratie ja – aber in einer Demokratie muss auch gearbeitet werden

Die Euphorie nach dem Sturz Mubaraks ist in Ägypten groß. Doch die Analyse der Massende­mons­trationen in Ägypten – nicht nur auf dem Tahrir-Platz in Kairo – hat relativ schnell gezeigt, dass es den vorwiegend jungen Leuten, sofern sie nicht von Fundamentalisten gesteuert wurden, in erster Linie um mehr Wohlstand ging (siehe Titelseite des WirtschaftsReport Februar 2011). Gewiss wollen die Ägypter natürlich auch Demokratie, doch ist Demokratie ein dehnbarer Begriff. Was versteht ein Volk unter Demokratie, das in einer ganzen Generation Demokratie nach westlichen Maßstäben nie erlebt hat?

Von 1936 bis zur Revolution 1952 regierte eine Feudalmonarchie unter König Faruk. Nach der Revolution stellte die Armee die Präsidenten Naguib, Nasser, Sadat und schließlich Mubarak. In vier Kriegen verspielte Ägypten ab 1948 unglaubliche Ressourcen, die das Land besser in seine Entwicklung gesteckt hätte. 1948 war der Operettenkönig Faruk beim sogenannten Unabhängigkeitskrieg mit dem jungen Israel verwickelt. Präsident Nasser führte gleich zwei Kriege, 1956 die Auseinandersetzungen in der Suez-Krise und 1967 den „Sechstagekrieg“, der mit der Sperrung der für Israel damals lebenswichtigen Wasserstraße von Tiran durch die Ägypter begann. Und schließlich 1973 den Überfall von Ägypten auf Israel am Jom-Kippur unter Präsident Sadat. Sadat war es dann aber auch, der einen Friedensvertrag mit Israel abschloss. Mubarak hat dann in seiner Amtszeit von 1981 bis 2011 nicht nur endlich keine Kriege mehr geführt, sondern ausdrücklich am Friedensvertrag mit Israel festgehalten.

Nach dem jetzt erfolgten Sturz Mubaraks ist interessanterweise selbst für die ägyptische Bevölkerung das Militär der neue Hoffnungsträger, doch die führenden Repräsentanten der Armee – an der Spitze Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi – sind in der Denke von Expräsident Mubarak groß geworden. Außerdem begreift sich die Armee als „Staat im Staate“ und als Eigner zahlreicher Fabriken auch als Wirtschaftsfaktor. Man darf gespannt sein, wie sich die Dinge unter dem „Obersten Militärrat“ entwickeln. Noch überwiegt im Volk die Euphorie nach dem Ende von Mubarak. Doch mit Euphorie allein kann man keinen besseren Wohlstand schaffen und schon überhaupt nicht in einer halbwegs überschaubaren Zeitachse. Und der fehlende Wohlstand war die eigentliche Triebfeder der Unzufriedenheit. Dies ist durchaus verständlich, wenn man bedenkt, dass jährlich ca. 800.000 junge Berufseinsteiger in die Wirtschaft integriert werden sollen – eine schier unlösbare Aufgabe.

Was ist jetzt in Ägypten zu tun? Vor allem müssen die Leute endlich wieder arbeiten und nicht weiter palavern; es ist ja schließlich nicht die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung Ägyptens arbeitslos. Das Land will jetzt von der internationalen Gemeinschaft Hilfe. Das wollen wir auch gerne tun, aber einen Beitrag müssen die Ägypter schon selbst leisten. Es ist einfach untragbar, wenn eine Woche nach dem Sturz Mubaraks nach einem Aufruf der „Demokratiebewegung“ über gut eine Million Menschen auf dem Tahrir-Platz sich erneut zu einer Jubelfeier versammeln und nicht arbeiten. So kann jedenfalls kein besserer Wohlstand erreicht werden. Während der dreiwöchigen Unruhen wurden nur 20% Wertschöpfung erzielt und nach einer Analyse der französischen Großbank Crédit Agricole haben die Demonstrationen ca. 230 Millionen Euro gekostet. Dies ist für ein Land wie Ägypten untragbar. Je länger die Leute weiterhin auf die Straße gehen, desto mehr schädigen sie die Wirtschaftssäule Tourismus. Wer will schon in einem Land Urlaub machen, in dem hinten und vorn nichts mehr richtig funktioniert, weil der Protest dem Service vorgezogen wird. Es sind ja keineswegs nur arbeitslose Jungakademiker, die erneut auf die Straße gingen. Auch zahlreiche wilde Streiks, selbst in der Beamtenschaft und in der Staatswirtschaft, blockieren das öffentliche Leben. Die 14 Millionen Tourismusgäste, die man 2011 prognostizierte, kann man jedenfalls unter den gegenwärtigen Umständen vergessen. Da hilft auch kein Hilfeaufruf des ägyptischen Außenministers an den Westen.

Eine Voraussetzung für westliche Hilfe ist die Beantwortung der Frage, wohin die Reise in Ägypten geht. Wird es überhaupt Änderungen geben?

Wie ist die Rolle der fundamentalistischen Moslem-Bruderschaft – offiziell sogar in Ägypten verboten – einzuschätzen? Wenn nach 30 Jahren Frieden mit Israel durch führende Repräsentanten der Moslem-Brüder in Ägypten schon wieder kriegerische Töne gegen Israel zu vernehmen sind (das ägyptische Volk auf einen Krieg mit Israel einstimmen) kann man tatsächlich sehr besorgt sein. Wenn die Menschen in Ägypten den Verheißungen der Fundamentalisten folgen, könnte über Nacht wieder einer der gefährlichsten Brennpunkte der Weltpolitik entstehen. Schon immer haben militärische Führer, wenn sie keine politischen Erfolge hatten, zum Mittel der Ablenkung des Volkes durch Kriege gegriffen, wenn dafür nur das Beispiel der argentinischen Militärjunta unter General Leopoldo Galtieri beim Falklandkrieg 1982 erwähnt werden darf. Galtieri war als Junta-Chef Argentiniens ein absolut schwacher Mann und lenkte von seinem Versagen durch die Anzettelung des Krieges gegen das Vereinigte Königreich ab. Man stelle sich nur eine Entwicklung in Ägypten mit einem Schulterschluss mit dem Iran gegen Israel vor. Es wäre eine politische Katastrophe, die nicht nur zu einer Destabilisierung im gesamten arabischen Raum führen würde; die Vereinigten Staaten werden im Falle des Falles den Staat Israel immer verteidigen. Ein derartiges Szenario kann nur verhindert werden, wenn der Oberste Militärrat in Kairo ganz schnell für berechen- und planbare Verhältnisse in Ägypten sorgt.

Die einzige Hoffnung ist, dass die führenden Generäle der ägyptischen Armee unter Mubarak einen engen, ja freundlichen Dialog, zu den Generälen der US-Army aufgebaut haben. Auf der anderen Seite sind aktuelle fundamentalistische Entwicklungen in Ägypten nicht zu leugnen, wie der führende Ägypten-Kenner Michel Rauch (10 Jahre Korrespondent in Kairo, www.yallacairo.com) feststellt: „Immer mehr Frauen verschleiern sich – ein Symbol der Loslösung von westlichen Idealen“ (nachzulesen im interessanten Merian live Ägypten). Die Lage ist nach dem Sturz Mubaraks keineswegs leichter geworden.

 

Letzte Änderung am Mittwoch, 31 Mai 2017 15:37